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Im Munde des Volkes gestaltete sie sich bald zu einem Lieblings-
gegenstande der Sage und der ausschmückenden Dichtung.
Mehr als seine wirklichen Thaten und Schicksale haftete die
sagenhafte Kunde von Heinrichs des Löwen Fahrt nach den
Wunderländern des Ostens in der Erinnerung der Menschen.
Von den Abenteuern, die er auf ihr bestanden, seinem Schiif-
bruch und seiner wunderbaren Rettung, von seinem treuen
Löwen und seiner unerwarteten Rückkehr nach Braunschweig
wufste man noch lange zu singen und zu sagen. Die Dichtung
bemächtigte sich dieses Stoffes und feierte den Herzog in der
Zeit, da er im hellen Glanze des Ruhmes stand. In der Voll¬
kraft seines Lebens, ehe er von der Höhe seiner Macht herab¬
sank, hat sie sein Bild festzuhalten und der Nachwelt zu
überliefern gesucht, unbekümmert um die verhängnisvolle
Wendung, welche alsbald in seinem Leben eintrat.
0. v. Heinemann, Geschichte von Braunschweig und Hannover.
44. Vereitelter Überfall der Stadt Braunschweig.
Nachdem Herzog Heinrich Julius zur Regierung gekommen
war, dachte er daran, mit der StaM Braunschweig ins reine zu
kommen. Tr wollte den Zwist beendigen, der schon länger als
Hundert Jahre zwischen ihr und seinen Vorfahren bestanden hatte.
Denn weder Heinrich der Jüngere, noch Julius hatten die Stadt
ihrer Herrschaft unterwerfen können, die, gesichert durch Bündnisse,
reich durch ihren Handel, stolz auf die Gnadenbeweise der Kaiser,
immer mehr danach strebte, eine freie Reichsstadt zu werden.
Das Verhältnis zwischen ihr und dem Herzogshause war je länger,
je mehr ein sehr kühles geworden, und Heinrich Julius hatte von
den trotzigen Bürgern manche Unbill erfahren. Als er einst im
Aufträge des Vaters nach Braunschweig geritten war, hatte man
ihn und sein Gefolge mehrere Stunden im starken Regen draußen
warten lassen, bis es den ehrbaren und hochweisen Herren vom
Rate genehm war, dem Prinzen das Thor zu öffnen. Beim Tode
des Vaters hatte man es nicht für nötig befunden, die Glocken
läuten zu lasten; ja, trotz der ergangenen Aufforderung hatte der
Rat keine Abgesandte nach Ulolfenbüttel zur Beisetzung der fürst¬