Full text: Prosalesebuch für Untertertia der Vollanstalten oder Klasse III der Realschulen (Teil 4, [Schülerband])

das Hochmahl am Ehrentische herrichten zu lassen. Laut riesen die 
Ordensherolde die Namen der Gäste auf, denen solche Ehre zuteil 
ward. Den obersten Ehrensitz erhielt derjenige, dem an Ruhm und 
ritterlicher Tugend kein andrer gleichkam, die übrigen folgten der Reihe 
nach. Kostbares Tischgerät bedeckte die Tafel. Alle Trinkbecher waren 
von Gold und Silber, und es gab deren so viel, daß jeder Gast 
den Becher, den er einmal geleert, als sein Eigentum mitnehmen 
durfte. Da hat mancher durch tapfres Trinken viel güldener und 
silberner Becher gewonnen. Musik, Liedsprecher und Jubelgesang würz¬ 
ten die Freuden des Mahls, das wohl fünf bis sechs Stunden dauerte. 
Der Aufbruch gegen die an der Ostmark wohnenden Litauer 
fand gewöhnlich zur Winterszeit statt, wenn starker Frost die Eis¬ 
decke über Moore und Sümpfe gespannt und so die litauische Wildnis 
wegsam gemacht hatte. Oft wankte und krachte die Eisdecke unter 
den Füßen des Heeres. Tausende von Arbeitern gingen mit Arten 
voraus, den Weg durch den Urwald zu bahnen. Die Stille der 
Nacht ward durch das Geheul der Wölfe und das Gekrächze der 
Raubvögel unterbrochen. Zuweilen trat Tauwetter ein und verwan¬ 
delte die Eisfläche wieder in unabsehbare Moräste. Dann ward schleu¬ 
nigste Umkehr geboten, und der Rückweg gestaltete sich noch beschwer¬ 
licher als der Anmarsch. 
Trotz der Kriegszüge gegen die Litauer, welche während der 
ganzen Regierung des Hochmeisters Winrich von Kniprode fortdauer¬ 
ten, nahm doch der Wohlstand im Lande einen erfreulichen Auf¬ 
schwung. Die Städte entfalteten ein reiches kaufmännisches Treiben 
und knüpften vielfach auch Handelsbeziehungen an mit entfernten 
Märkten. Die bedeutenderen unter ihnen, wie Thorn, Elbing, Dan¬ 
zig, Kulm, Königsberg und Braunsberg, wurden Mitglieder der 
Hansa und hielten nicht nur eigene Tagfahrten zu Marienburg und 
Danzig, sondern schickten auch Sendboten zu den Hansatagen nach 
Lübeck und Stralsund. 
Auf der friedlichen Vereinigung des ritterlich kriegerischen und 
des bürgerlich erwerblichen Elements beruhte die Kraft des Ordens¬ 
staates ; aber es kam eine Zeit, wo diese sich löste und wo die wohl¬ 
habenden Weichselstädte ihre Handelsinteressen und Rechte durch die 
Hansa oder den Anschluß an Polen besser geschützt glaubten als durch 
die Ordensherrschaft. Der Tag von Tannenberg, der 15. Juli 1410, 
an welchem der Hochmeister und die Blüte des deutschen Rittertums 
auf der Walstatt sanken und das Ordensheer durch die Polen eine 
schwere Niederlage erlitt, bezeichnet den Wendepunkt in der Geschichte 
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