Full text: Altertum und Mittelalter (Teil 1)

— 94 
Verräter vom tarpejischen Felsen gestürzt. — Glücklicher waren die 
Plebejer in dem Verlangen nach geschriebenen Gesetzen. Bis- 
her beruhte die Rechtsprechung auf der Kenntnis des ungeschriebenen 
Herkommens und der herkömmlichen Formen und lag ausschließlich 
in der Hand der Patrizier, deren Gericht darum auch manchmal 
als parteiisch erschien. Sie widersetzten sich denn auch der Forderung 
geschriebener Gesetze jahrelang. Der Unfriede, der in der Stadt 
herrschte, schwächte den Staat so sehr, daß die feindlichen Äquer und 
Volsker bis vor die Mauern der Stadt streiften und selbst das Kapitol 
besetzten. Endlich gaben die Patrizier nach. Nachdem eine Ge 
sandtschast in Großgriechenland und Athen die Gesetzgebungen studiert 
hatte, wurde ein Kollegium von 10 Männern mit unbeschränkter 
Amtsgewalt, Decemvirn, mit der Aufstellung der Gesetze und zu- 
4SI. gleich mit der Staatsregierung beauftragt 451. Sie entledigten 
sich ihrer Aufgabe zur allgemeinen Zufriedenheit. Auf zehn Tafeln 
wurde der Ertrag ihrer gesetzgeberischen Tätigkeit niedergelegt. 
Im nächsten Jahr (450) wurde das Zwölftafelgesetz vollendet, 
aber die Decemvirn, unter denen auch einige Plebejer waren, 
herrschten tyrannisch und setzten dies auch 449 fort, bis der freche 
Angriff des Appius Claudius auf die schöne Verginia und eine 
zweite Auswanderung der Plebejer die Abdankung der Decemvirn 
und die Herstellung der alten Verfassung bewirkte. Appius und ein 
anderer Decemvir töteten sich selbst im Gefängnis. 
Ob die Sage den Hergang beim Sturz der Decemvirn richtig dar- 
stellt, ist zweifelhaft. Wenn das Zwölftafelgesetz auch inhaltlich keinen 
großen Gewinn für die Plebejer brachte und mit seinen Bestimmungen, 
z. B. seinem harten Schuldprozeß, zunächst einen ähnlichen Eindruck gemacht 
haben mag, wie Drakons Gesetzgebung in Athen, so war doch ein fester 
Grund des Rechts gelegt, auf den jeder sich stellen mußte. Die zwölf 
Tafeln waren die Grundlage des römischen Rechts, dessen Ausbildung 
zu den größten Taten der Römer gehörte. — Im Zusammenhang mit 
dem Sturz der Decemvirn standen auch die den Plebejern günstigen Ge- 
setze der Konsuln L. Valerius und M. Horatins (448): 1. Jeder Beamte 
mußte bei Strafe des Todes die Berufung von seiner Entscheidung an 
das Volk znlasseu. 2. Die plebejischen Beamten sollten unverletzlich sein. 
3. Die Beschlüsse der Plebejer in ihren Sonderversammlungen (den 
Tributkomitien S. 93) sollten für das ganze Volk Geltung haben. 
2. Kampf um Gleichberechtigung, a. Militärtribunen. Bald 
kämpften die Plebejer um volle Gleichberechtigung. Sie forderten 
rasch nacheinander, 1) daß Ehen zwischen Patriziern und Plebejern 
sollten ohne Nachteil für die Kinder geschlossen werden können, 
2) daß die Konsuln aus den Plebejern oder Patriziern sollten ge¬ 
nommen werden dürfen. Jener Forderung gaben die Patrizier 
nach (445); um so entschlossener widersetzten sie sich der andern. 
Lieber verzichteten sie selbst zuzeiten ans das Konsulat. Es wurde 
443 beschlossen, daß an die Stelle der Konsuln Militärtribunen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.