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Held von Mörderhand sterben. Das geschah an dem Brunnen im
Dorfe Odenheim vor dem Odenwalde. Als die Mörder sahen, daß
der Held tot war, legten sie* ihn auf einen Schild und berieten,
was nun geschehen sollte. Einige schlugen vor, man sollte sagen, er
sei von Räubern erschlagen worden; Hagen aber rief: „Ich bringe
ihn nach Hause und frage nicht danach, ob Kriemhilde weiß, wer es
gethan hat, da sie so das Herz meiner Königin betrüben konnte."
Wie Siegfried beklagt und öegraöen ward. Der hartherzige
Mann ließ den erschlagenen Siegfried vor das Schlafzimmer der
Kriemhilde tragen und vor ihre Thür legen. Als sich nun am
andern Morgen die Königin zur Messe ankleidete, fand ein Kämmerer
den Leichnam, ohne zu ahnen, wer es sei, und meldete ihr, daß ein
erschlagener Mann vor der Thür liege. Ehe sie ihn gesehen hatte,
wußte sie was geschehen war; sie trat herzu und sank lautlos zur
Erde. Lange lag sie so da, dann schrie sie auf, daß das Gemach
erscholl: „Es ist mein lieber Mann! Brunhilde hat's geraten, und
Hagen hat's gethan!" Sie glitt an Siegfried nieder, hob sein
schönes Haupt mit der Hand empor und klagte: „O weh, dich fällte
Mörderhand!" Mit ihr weinte ihr ganzes Gesinde. Boten aber
holten Siegfrieds Ritter und den alten Vater herbei. Da erhob
sich ein starkes Jammern von allen Seiten int Palast und in der
Stadt Worms, denn allen war der Held teuer gewesen. Besonders
aber jammerte Siegmund, der alte König, welcher nun des herrlichen
Sohnes beraubt war. Niemand konnte ihn und Kriemhilde trösten.
Man mußte jedoch daran denken, den Toten zu bestatten. Es
wurde ein Sarg bereitet von Silber und Gold, in ihm trug man
den Helden in der Frühe zum Münster unter dem Klange der
Glocken und dem Gesänge der Geistlichen. Unter dem Gefolge befand
sich auch Günther und selbst der treulose Hagen. Um den Mörder
vor allen Leuten zu überführen, sprach Kriemhild: „Wer unschuldig
ist an dem Morde, der trete getrost an den Toten heran; wenn
aber der Mörder in der Nähe ist, so werden die Wunden wieder
bluten." Als nun Hagen herantrat, floß das Blut wieder so stark
aus den Wunden, wie zuvor, als Siegfried getötet wurde. Da er¬
kannten alle, daß Hagen der Mörder war. Mit großer Pracht und
unter lautem Weinen und Klagen des Volkes wurde Siegfried in
Worms begraben. Traurig kehrte König Siegmund nach den Nieder--