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Kind. So wollen wir einen Stuhl für ihn leer
lassen!
Vater. Thue das!
Kind. Es klopft vor der Thür.
Vater. Siehe zu, wer cs ist.
Kind. Ein armer, reisender Handwerksbursch!
Vater. Komm näher, Freund! Woher des We¬
ges, so spät über den Thüringer Wald, und in dieser
rauhen Jahreszeit?
Wanderer. Erbarmen, lieber Herr! Ich habe
meine beiden Füße erfroren! Der Abend ist' vor der
Thür, und es fehlt mir an Zehrgeld und einem Gro¬
schen zur Nachtherberge. Auch fühle ich mich ganz hin- I
fällig. Seit drei Tagen ist kein warmer Bissen über
meine Lippen gekommen! .
Kind. Setze dich, fremder Mann! Du wirst
müde seyn!
Vater. Du sollst eine warme Suppe essen.
Kind. Die meinige.
Vater. In einem warmen Bette schlafen.
Kind. O, daß das meinige zu klein ist!
Wanderer. Guter, lieber Engel!
Kind. Warum weinst du? friert dich etwa?- Ich
will nicht eher ruhen, bis die Mutter dir ein Paar
warme Strümpfe für deine beiden nackten Füße ge¬
schenkt hat.
Wanderer. Ich weine vor Freude, daß ich hier,
mitten im Thüringerwald, zu so güten und frommen
Christenleuten gekommen bin!
% K i n d. Wie ist es Vater? Mir fallt etwas ein.
Weil Christus nicht selbst kommt: hat er darum vielleicht
diesen armen Mann an uns abgeschickt?
Vater. So recht, mein Kind! Christus ist die
Liebe, das Erbarmen, die Nachsicht, die Sanftmuth
selbst! Jeden Trunk Wasser, jeden Bissen Brod, jede
Erquickung einem armen Kranken oder Gefangenen
herabreicht, will er vergelten, als ob er Alles dieses
selbst aus unsern Händen empfangen hatte. Denn so
heißt es Matth. 25.; „ Ich bin hungrig gewesen, und
ihr habt mich gesperrt; ich bin durstig gewesen, und ihr
habt mich getränkt; ich bin ein East gewesen, und ihr
habt mich beherbergt; ich bin gefangen gewesen, und