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einige Kühe und Mutterschafe werden gemolken, und nachdem alles besorgt
ist, besuchen manche Hirten ihre Nachbarn und plaudern oder spielen, um
das Feuer gelagert. Aus die Bitten der Hirten erzählt der Oberhirt seinen
Gehilfen uralte Sagen und Mären, z. B. wie die Magyaren in ihre jetzige
Heimat eingewandert und sie mit dem Schwerte erkämpft, aus dem Leben
der großen Helden der Vorzeit u. a. Rings herrscht tiefes Schweigen, und
keiner der Lauschenden wagt es, ihn zu unterbrechen. Erst spät in der
Nacht verstummt sein beredter Mund, und bald umfängt alle der süße
Schlaf.
Nur der Sonntag macht einen Abschnitt in dem Leben auf der Pußta;
dann begeben sich die Hirten, an denen gerade die Reihe ist, aus flinken
Rossen — nuv der Schafhirt trottet auf seinem bedächtigen Grautier — in
die Dorsschast zu den Ihrigen, oder in die Csardas Die Burschen tanzen
aufjauchzend und unermüdet auf einem Fleck in der dunstigen Stube und
schwingen in der einen Hand ihre Tänzerin, in der andern die lang- und
breithalsige Flasche. Die Alten setzen sich in einer Ecke aus die Bauk und
lassen sich ihre Lieblingslieder vorgeigen und versinken bei den wehmütig¬
klagenden Tönen in Gedanken an die entschwundenen schönen Tage der
Jugend, bis die Musik in tollen Weisen auflodert und die Tänzer lust¬
berauscht den Boden klirrend stampfen; dann stoßen sie wohl die Flasche
kräftig nieder und springen mit leuchtenden Augen auf, hingerissen von den
uralten heimischen Klängen. E. Schwab.
203. Paris.
Das Eigentümlichste und Merkwürdigste von Paris bleiben stets seine
Straßen und ihr Treiben. Sie sind eine große Weltausstellung, ein Theater
und Gesellschastssaal, so glänzend und bunt, zumal jedes Erdgeschoß eine
Schaustellung bietet. Laden an Laden, Scheiben bis zur Erde die langen
Häuserzeilen aus und nieder. Den Häusern verleihen wieder die hoch-
gegiebelten, möglichst geschmackvollen Kamine — eine Stadt von kleinen
Pyramiden aus den Dächern — eigenen Charakter. Es gibt einen Augen¬
blick, wo man das Auge besonders gern in solche Gassensernsicht senden
mag: wenn ihre dunkeln Linien sich hoch oben in noch etwas tagblauem
Äther zeichnen, während unten schon die Flammenguirlanden der Straßen¬
beleuchtung spielen. Zur Kenuzeichnung der Straßen von Paris gehört,
daß wenigstens der dritte Laden der eines Friseurs, ist, oder eines Zahn¬
künstlers mit Zähnen, Gebissen, Kiefern aller Art, oder eines Korsettmachers.
Lebensgroße Puppen mit Seidenmieder, oder Wachsdamen mit Blumen und
Federn in den Locken, in rotem Sammetgewande, sich vor dem Beschauer
drehend und drehend, als tanzten sie nach der Melodie des Leierkastens an
Tscharda — Wirtshaus.