X. Auf den britischen Inseln ward die Zersplitterung im Laufe des
9. Jhdrts. vermindert, aber keineswegs ganz gehoben. Zwar verschmilzt die angel¬
sächsische Heptarcliie in England in eine Monarchie (827), und ebenso die bei¬
den Reiche der Pikten und Scoten in ein Königreich Schottland (838), aber
in den westlichen Küstenländern erhielten sich noch lange einheimische britische
Herrscher, und Irland blieb sogar in 5 Königreiche getheilt: Ulster im Norden,
Meath in der Mitte, Leinster im Südosten, Münster im Südwesten, Connaught im
W esten.
Blatt 111.
Europa im Zeitalter der Kreuzzüge.
Während eines beinahe 300jährigen Zeitraumes, von der Gründung des
abendländischen Kaiserthums bis zum Beginne der Kreuzzüge, hat der poli¬
tische Zustand Europa’s zwar weder so gewaltsame noch so rasche Umgestaltungen
erlitten, wie in der ersten Hälfte des Mittelalters, dennoch keineswegs unbedeu¬
tende, wie schon die beim vorigen Abschnitte angedeuteten Veränderungen wäh¬
rend des 9. Jhdrts. zum Theil schliessen lassen.
Die wichtigsten derselben sind: vor Allem die Trennung Deutschlands
von Frankreich, zwischen welchen sich noch eine Zeit lang ein aus der Ver¬
einigung der beiden burgundischen Königreiche gebildetes Reich Arelat, als ein
Rest des ehemaligen mittelfränkischen Reiches, erhielt; ferner die Stiftung eines
magyarischen Reiches in dem ehemaligen Lande der Avaren, und die Aus¬
breitung der Normannen über England, die Normandie, Apulien und Sici¬
lien, so dass diese sowohl im äussersten Norden, als im äussersten Süden Europa’s
herrschen, nachdem sie (in der 2. Hälfte des 9. Jhdrts.), wie die Magyaren (in der
1. Hälfte des 10. Jhdrts.), der Schrecken und die Plage des Abendlandes gewesen
waren. Die Vereinigung der zahlreichen kleinen normannischen Herr¬
schaften auf der skandinavischen Halbinsel und in Dänemark zu 3 geschlossenen
Königreichen ist bereits S. ix angedeutet worden. Die umfangreichste Verände¬
rung erlitt der Osten Europa’s, sowohl durch die Stiftung eines grossen rus¬
sischen Reiches (seit 862), welches sich schon bald vom finnischen Meerbusen
bis zum caspischen Meere erstreckte, als durch die Einwanderung der
Petschenegen (seit 900) in das südliche Russland vom Don bis zur Donau,
welche die Chazaren nach Südosten (zwischen den Don und den Uralfluss) drängten.
Die Herrschaft der Araber ist im fortwährenden Abnehmen begriffen, theils
durch Zersplitterung unter zahlreiche Dynastien (besonders in Afrika), theils durch
das Vordringen der christlichen Reiche in Europa (Spanien), sowie der Seldschucken
im westlichen Asien.
Demnach gestaltet sich das Kartenbild von Europa beim Beginn der Kreuz¬
züge, am Schlüsse des 11. Jhdrts., in folgender Weise:
1. Auf der pyrenäischen Halbinsel war das Khalifat von Cordova
im J. 1031 untergegangen und das moslemische Spanien in eine Menge einzelner
Herrschaften aufgelöst : Cordova, Sevilla, Malaga, Algeziras, Granada (nebst Elvira
und Jaen), Valencia, Zaragoza, Huesca (nebst Lerida und Tortosa), Lusitanien
und Algarve, Toledo u. s. w. Bei dieser Zersplitterung der arabischen Herrschaft
drohte ihr der Untergang durch die Vereinigung der christlichen Fürsten Spaniens
gegen sie. Zwar rettete der aus Afrika herübergerufene Jusuf aus der Dynastie
der Morabethen oder Almoraviden (durch einen glänzenden Sieg in der
Ebene von Salaka 1086) die Moslemen, ward aber auch ihr Beherrscher. Mit
Ausnahme Zaragoza’s, dessen mächtiger Emir die Freundschaft Jusuf’s zu ge¬
winnen wusste, blieb das ganze arabische Spanien unter der Herrschaft der
Almoraviden, die nach kaum 50jähriger Regierung von den ebenfalls aus Afrika
kommenden Almohaden verdrängt wurden und nur noch die Balearen als ein
Khalifat Majorka einige Zeit behielten.
Die christlichen Besitzungen hatten sich auf Kosten der moslemischen
bis zum untern Tajo und über den obern Tajo hinaus erweitert:
a) Das Königreich Asturien, das Stammland der christlichen Herr¬
schaft in Spanien, hatte, als in Folge der Erweiterung gegen Süden hin die
Residenz nach der stark befestigten Stadt Leon verlegt worden war, den Namen
eines Königreiches Leon angenommen.
b) Castilien, ursprünglich eine Grafschaft des Königreiches Asturien,
war (nach kurzer Vereinigung mit Navarra) ein selbständiges Königreich und
durch die Eroberung des arabischen Reiches Toledo das ausgedehnteste aller
christlichen Reiche auf der Halbinsel geworden.
c) Navarra hatte sich aus einer fränkischen Grafschaft, die sich in einem
zweifelhaften Zustande der Abhängigkeit von Karl dem Gr. befunden hatte,
unter dessen schwachen Nachfolgern zu einem unabhängigen Staate erhoben und
hiess seit 905 ein Königreich. Vorübergehend war es durch Sanclio den Gr.
auch zur Herrschaft über Castilien gelangt, aber durch die Theilung des Reiches
unter Sancho’s 3 Söhne (1035) wurde nicht nur Castilien wieder selbständig,
sondern auch die Grafschaft
d) Aragon, als ein besonderes Königreich, davon getrennt, welches sich
in der Folge theils durch Eroberungen maurischer Besitzungen, namentlich des
Reiches Zaragoza (1118), theils durch Vereinigung mit der aus der spani¬
schen Mark hervorgegangenen und durch maurisches Gebiet ansehnlich ver-
grösserten Markgrafschaft Barcelona (mittelst Ileirath 1137) bedeutend
erweiterte. Zu den Besitzungen, welche die Markgrafen von Barcelona, schon
vor der Erwerbung der aragonischen Krone, jenseits der Pyrenäen inne hatten,
kamen allmählig (durch Kauf, Heirathen und Verträge) noch die Grafschaft
Roussillon (1172), die meisten Länder der Grafen von Toulouse (1211), die
Grafschaft Foix, Montpellier u. s. w.