Full text: Die mittlere und neuere Zeit (Abth. 2)

Erläuterungen. 
Blatt 1. 
A. 
Europa am Ende des fünften Jahrhunderts. 
IViemals hat der geographische Zustand Europa’s so gewaltsame und so be¬ 
deutende Veränderungen erlitten, wie im 5. Jahrhunderte unserer Zeitrechnung, in 
Folge der sogenannten Völkerwanderung. Schon in den beiden ersten Jahrzehnten 
dieses Jahrhunderts werden durch das Vordringen germanischer Völker in den We¬ 
sten des europäischen Continents dem weströmischen Reiche (s. I. Abth. Blatt VII. A.) 
Theile von Gallien (das südöstliche durch die Burgunder, das südwestliche durch die 
Westgothen, die beiden Germanien durch die Franken) und die pyrenäische Halb¬ 
insel (von den Sueven, Vandalen und Alanen) entrissen; am Ende des dritten Jahr¬ 
zehnts verlassen die Vandalen Spanien und nehmen das nördliche Afrika ein; im 
vierten dehnen sich die Franken von Belgien über das nördliche Frankreich aus; seit 
der Mitte des fünften siedeln sich die Angeln und Sachsen in dem römischen Bri¬ 
tannien an. Nachdem die auswärtigen Provinzen des weströmischen Reiches so all- 
mählig demselben entrissen worden, fällt endlich 476 auch das Stammland einem 
Anführer germanischer Miethtruppen, dem Odoaker, anheim und fast gleichzeitig 
(477) das von den Vandalen verlassene Spanien den Westgothen. Von diesen auf 
den Trümmern des weströmischen Reiches gegründeten germanischen Staaten erlebt 
das italische Reich des Odoaker nicht einmal das Ende des Jahrhunderts, denn 
nach einer nur 17jährigen Dauer (476 — 493) tritt an dessen Stelle ein anderes 
germanisches Reich, das der Ostgothen. Ebenso war die kurze Weltherrschaft 
der Hunnen, welche vom Rheine und der Donau bis zur Wolga alle Völker von 
germanischem, slavischem und finnisch-ugrischem Stamme zu einem Ganzen ver¬ 
einigt hatte, mit ihres Stifters Tode (453) fast spurlos vorübergegangen, und die 
Gepiden hatten das Hauptland der Hunnen (Dacien) eingenommen, die am Ende 
des Jahrhunderts in die Steppen am Pontus zurückgedrängt erscheinen. 
Das Ende des 5. Jahrhunderts weist die grösste Ausdehnung der 
germanischen Völkerwelt auf. Denn diese erscheint als herrschend vom 
Kjölen-Gebirge (im engern und richtigem Sinne, damals Kölarne- Geb.) auf der 
skandinavischen Halbinsel bis zum Atlas in Nordafrika und vom atlantischen Ocean 
bis zu den östlichen Karpathen und dem Mündungslande der Donau, also beinahe 
bis zum schwarzen Meere, 
Die wichtigeren germanischen Reiche um 500 waren: 
1. Das Reich der Sueven (409 — 456, erneuert 465 — 585) im nordwest¬ 
lichen Theile der pyrenäischen Halbinsel reichte vom aquitanischen Meere bis in 
die Nähe des Tajo und berührte diesen mit einem südöstlichen Streifen. 
2. Das Reich der Westgothen (409 — 712) hatte damals seine grösste 
Ausdehnung erreicht und umfasste die ganze übrige pyrenäische Halbinsel mit 
Ausnahme von Cantabria und Vasconia, deren Einwohner in ihren Gebirgen noch 
über ein Jahrhundert (bis 574, und später nochmals bis 623) ihre Unabhängigkeit 
behaupteten; ferner (seit 471) in Gallien alles Land zwischen dem Ocean, der 
untern und mittlern Loire und der untern Rhone (nebst der Auvergne oder 
Arvernia). 
3. Die vier Reiche der Franken: 
a) der salischen Franken (benannt von der Issala oder Yssel), welche 
schon um die Mitte des 5. Jahrhunderts von dem rheinischen Deltalande 
über einen grossen Theil des belgischen Niederlandes, südwestlich bis zu 
den Quellen der Schelde ausgebreitet waren, hatten unter Chlodwig durch 
Ueberwindung des Syagrius und durch freien Anschluss der Armoriker 
(zwischen Seine und Loire) ihr Gebiet nach Süden hin so erweitert, dass 
sie an der Loire die Nachbarn der Westgothen und auf dem Plateau von 
Langres die Anwohner der Burgunder geworden waren. Dazu hatte 
Chlodwig, als Bundesgenosse der ripuarischen Franken, im Kriege mit den 
Alemannen (496) deren nördliches Gebiet zu beiden Seiten des Rheins bis 
gegen Strassburg und die rauhe Alp hin gewonnen. — Um 500 bestanden 
neben dem Reiche des Chlodwig (zu Paris) noch zwei kleinere der salischen 
Franken, an der Schelde (zu Cambrai) und an der flandrischen Meeres¬ 
küste, welche aber schon 509 mit Chlodwig’s Reiche vereinigt wurden. 
b) Die ripuarischen Franken auf der Westseite des Niederrheins, mit 
der Hauptstadt Köln, breiteten sich bis über die Maas, dann über die Mosel 
und die Vogesen bis zum Oberrheine aus und geriethen so in den vorhin 
erwähnten Kampf mit den Alemannen (496), dessen Früchte ihr Bundes- 
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