Das Zehntland.
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Als die Römer im Jahre 84 n. Chr. das Zehntland besetzten, fanden sie
es wahrscheinlich zum größten Teil verödet vor, da nacheinander Kelten, Helveüer
und Markomannen aus diesen Gegenden ausgewandert waren. Sobald die neuen
Verhältnisse einigen Bestand gewonnen hatten, kamen aus Gallien Ansiedler
herüber um sich Land aufteilen zu lassen. Wie immer bei großen Verschiebungen
von Besitz und bei guten Gelegenheiten zu Erwerb und Arbeit fand sich auch
hier allerlei Volk zusammen. Die einen waren verwegene Pfadfinder, denen
die Ungebundenheit unfertiger Zustände gefiel; mancher mochte eine üble
Vergangenheit sich und andern vergessen machen. Auch fehlten wohl die Streb¬
samen und Tatkräftigen nicht, die ihren arbeitsamen Fäusten und dem mitgebrachten
Besitz vertrauend auf reicheren Erwerb in den neuaufgeschlossenen Gegenden
hofften, als ihnen jenfett des Rheins bei den eng und fest begrenzten Verhält-
nissen hoch gesteigerter Kultur in Aussicht stand. Nach dein Abenteurer und
dem Landmann kamen die Handwerker und Kaufleute; es kam der Techniker,
Gastwirt und Arzneiverkäufer, der Haarkünstler und Gaukler. Der Ausfuhr-
Handel schaffte die Erzeugnisse des Landes nach Italien: Käse und feineres
Gemüse, Honig und Wachs, Harz und Pech.
Der lässige Betrieb des Ackerbaues, wie er bei den Germanen Sitte war,
wich der anspruchsvolleren Art, die dem Lande seinen vollen Ertrag abgewann.
Der überflüssige Wald fiel unter der Axt der Äodenden, Sumpf und Bruch
wurden ausgetrocknet, die Wasserläufe geregelt, Weg und Steg angelegt, Steine
gebrochen und Straßen gebaut, von denen noch heute manches Stück sich im
Gebrauche bewährt.
C.
Das Land am Neckar war reich genug um wie das an Rhone, Mosel und
Mittelrhein mit den gesteigerten Lebensansprüchen auch die Lust am gewählten
Besitz zu wecken. Doch fehlte für ein reiches Städteleben die Voraussetzung
steter und gesicherter Verhältnisse, vielleicht auch eine gleichgeartete Bevölkerung.
Mit Mainz oder auch nur mit Augsburg konnte sich kein Gemeinwesen im
Zehentland vergleichen. Neben Ladenburg, Baden und Rottenburg gab es nur
kleinere, namentlich keltische Flecken.
Auf vielen ehemaligen Wohnstätten hat uns der Boden wertvolle Über-
bleibsel einer hoch gesteigerten Kultur bewahrt. Von den Erzeugnissen des
schlichten Handwerks für das Bedürfnis und die Arbeit des Tages bis zu den
vornehm anspruchsvollen Leistungen des Kunstgewerbes und der großen pla-
stischen Kunst geben reiche Funde mannigfaltige Zeugnisse. In großen Gräber-
seldern, in Bauresten von Häusern und Villen mit Luftheizung und Bädern
sind Ton- und Glasgefäße erhalten, dann Schalen, Lampen und Urnen; des
weiteren fanden sich Bronzefiguren, Spangen, Ringe und sonstiger Schmuck von