fullscreen: Für die Oberstufe der Seminare und zur Weiterbildung für Lehrer (Band 4, [Schülerband])

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So öffnet uns auch Beethovens Instrumentalmusik das Reich des Ungeheuren 
und Unermeßlichen. Glühende Strahlen schießen durch dieses Reiches tiefe Nacht, 
und wir werden Riesenschatten gewahr, die auf und ab wogen, enger und enger uns 
einschließen und uns vernichten, aber nicht den Schmerz der unendlichen Sehnsucht, 
sin welcher jede Lust, die schnell in jauchzenden Tönen emporgestiegen, hinsinkt und 
untergeht und nur in diesem Schmerze, der Liebe, Hoffnung, Freude in sich ver¬ 
zehrend, aber nicht zerstörend, unsere Brust mit einem vollstimmigen Zusammen¬ 
klänge aller Leidenschaften zersprengen will, leben wir fort und sind entzückte Geister¬ 
seher! — 
io Der romantische Geschmack ist selten, noch seltener das romantische Talent; daher 
gibt es wohl so wenige, die jene Lyra, deren Ton das wundervolle Reich des Ro¬ 
mantischen ausschließt, anzuschlagen vermögen. 
Haydn saßt das Menschliche im menschlichen Leben romantisch auf; er ist kom¬ 
mensurabler,"faßlicher für die Mehrzahl. 
iS Mozart nimmt mehr das Übermenschliche, das Wunderbare, welches im inneren 
Geiste wohnt, in Anspruch. 
Beethovens Musik bewegt die Hebel der Furcht, des Schauers, des Entsetzens, 
des Schmerzes und erweckt eben jene unendliche Sehnsucht, welche das Wesen der 
Romantik ist. Er ist daher ein rein romantischer Komponist; und mag es nicht daher 
20 kommen, daß ihm Vokalmusik, die den Charakter des unbestimmten Sehnens nicht 
zuläßt, sondern nur durch Worte bestimmte Affekte, als in dem Reiche des Unend¬ 
lichen empfunden, darstellt, weniger gelingt? 
Den musikalischen Pöbel drückt Beethovens mächtiger Genius; er will sich ver¬ 
gebens dagegen auflehnen. — Aber die weisen Richter, mit vornehmer Miene um 
25 sich schauend, versichern: man könne es ihnen als Männern von großem Verstände 
und tiefer Einsicht aufs Wort glauben, es fehle dem guten Beethoven nicht im 
mindesten an einer sehr reichen, lebendigen Phantasie, aber er verstehe sie nicht zu 
zügeln! Da wäre denn nun von Auswahl und Formung der Gedanken gar nicht 
die Rede, sondern er werfe nach der sogenannten genialen Methode alles so hin, wie 
so es ihm augenblicklich die im Feuer arbeitende Phantasie eingebe. Wie ist es aber, 
wenn nur eurem schwachen Blicke der innere, tiefe Zusammenhang jeder Beethoven- 
schen Komposition entgeht? Wenn es nur an euch liegt, daß ihr des Meisters dem 
Geweihten verständliche Sprache nicht versteht, wenn euch die Pforte des innersten 
Heiligtums verschlossen blieb? — In Wahrheit, der Meister, an Besonnenheit 
Ls Haydn und Mozart ganz an die Seite zu stellen, trennt sein Ich von dem inneren 
Reiche der Töne und gebietet darüber als unumschränkter Herr. Ästhetische Me߬ 
künstler haben oft in Shakespeare über gänzlichen Mangel innerer Einheit und 
inneren Zusammenhanges geklagt; indem dem tieferen Blick ein schöner Baum, 
Blätter, Blüten und Früchte aus einem Keime treibend, erwächst, so entfaltet 
4v sich auch nur durch ein sehr tiefes Eingehen in Beethovens Instrumentalmusik 
die hohe Besonnenheit, welche vom wahren Genie unzertrennlich ist und von dem 
Studium der Kunst genährt wird. Welches Jnstrumentalwerk Beethovens bestätigt 
dies alles wohl in höherem Grade, als die über alle Maßen herrliche tiefsinnige 
Symphonie in C-moll. Wie führt diese wundervolle Komposition in einer fort 
45 und fort steigenden Klimax den Zuhörer unwiderstehlich fort in das Geisterreich 
des Unendlichen. Nichts kann einfacher sein, als der nur aus zwei Takten be¬ 
stehende Hauptgedanke des ersten Allegros, der anfangs im Unisono dem Zuhörer 
nicht einmal die Tonart bestimmt. Den Charakter der ängstlichen, unruhvollen Sehn¬ 
sucht, den dieser Satz in sich trägt, setzt das melodiöse Nebenthema nur noch mehr 
so ins klare! — 
Die Brust von der Ahnung des Ungeheuren, Vernichtung Drohenden beängstigt 
und gepreßt, scheint sich in schneidenden Lauten gewaltsam Luft machen zu wollen, 
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