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123. Kannitverstan.
soviel von der deutschen Sprache verstand, als der Fragende von der holländi¬
schen, nämlich nichts, sagte kurz und schnauzig: „Kannitverstan;" und schnurrte
vorüber. Dies war ein holländisches Wort, oder drei, wenn man's recht be¬
trachtet, und heißt auf deutsch so viel als: „Ich kann Euch nicht verstehen."
Aber der gute Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes, nach dem er
gefragt hatte. „Das muß ein grundreicher Mann sein, der Herr Kannitverstan",
dachte er und ging weiter. Gass' aus Gass' ein kam er endlich an den Meer¬
busen, der da heißt: Het Ey, oder auf deutsch: Das Epsilon. Da stand nun
Schiff an Schiff und Mastbaum an Mastbaum, und er wußte anfänglich nicht,
wie er es mit seinen zwei einzigen Augen durchsechten werde, alle diese Merk¬
würdigkeiten genug zu sehen und zu betrachten, bis endlich ein großes Schiff
seine Aufmerksamkeit an sich zog, das vor kurzem aus Ostindien angelangt war
und jetzt eben ausgeladen wurde. Schon standen ganze Reihen von Kisten und
Ballen auf- und nebeneinander am Lande. Noch immer wurden mehrere her¬
ausgewälzt, und Fässer voll Zucker und Kaffee, voll Reis und Pfeffer. Als er
aber lange zugesehen hatte, fragte er endlich einen, der eben eine Kiste auf der
Achsel heraustrug, wie der glückliche Mann heiße, dem das Meer alle diese
Waren an das Land bringe? „Kannitverstan", war die Antwort. Da dachte
er: „Haha, schaut's da heraus? Kein Wunder! Wem das Meer solche Reich¬
tümer an das Land schwemmt, der hat gut solche Häuser in die Welt stellen
und solcherlei Tulipanen vor die Fenster in vergoldeten Scherben." Jetzt ging
er wieder zurück und stellte eine recht traurige Betrachtung bei sich selbst an,
was er für ein armer Mensch sei unter so vielen reichen Leuten in der Welt.
Aber als er eben dachte: „Wenn ich's doch nur auch einmal so gut bekäme, wie
dieser Herr Kannitverstan es hat", kam er um eine Ecke und erblickte einen
großen Leichenzug. Bier schwarz vermummte Pferde zogen einen ebenfalls schwarz
überzogenen Leichenwagen langsam und traurig, als ob sie wüßten, daß sie einen
Toten in seine Ruhe führten. Ein langer Zug von Freunden und Bekannten
des Verstorbenen folgte nach, Paar und Paar, verhüllt in schwarze Mäntel und
stumm. In der Ferne läutete ein einsames Glöcklein. Jetzt ergriff unsern
Fremdling ein wehmütiges Gefühl, das an keinem guten Menschen vorübergeht,
wenn er eine Leiche sieht, und er blieb mit dem Hut in den Händen andächtig
stehen, bis alles vorüber war. Doch machte er sich an den letzten vom Zug,
der eben in der Stille ausrechnete, was er an seiner Baumwolle gewinnen könnte,
wenn der Zentner um zehn Gulden aufschlüge, ergriff ihn sacht am Mantel und
bat ihn treuherzig um Entschuldigung. „Das muß wohl auch ein guter Freund
von Euch gewesen sein", sagte er, „dem das Glöcklein läutet, daß Ihr so be¬
trübt und nachdenklich mitgeht." „Kannitverstan!" war die Antwort. Da sielen
unserm guten Tuttlinger ein paar große Thränen aus den Augen, und es ward
ihm auf einmal schwer und wieder leicht ums Herz. „Armer Kannitverstan!"
rief er aus, „was hast du nun von allem deinem Reichtum? Was ich einst von
meiner Armut auch bekomme: ein Totenkleid und ein Leinentuch, und von allen
deinen schönen Blumen vielleicht ein Rosmarin auf die kalte Brust oder eine
Raute." Mit diesen Gedanken begleitete er die Leiche, als wenn er dazu ge¬
hörte, bis ans Grab. sah den vermeinten Herrn Kannitverstan hinabsenken in
seine Ruhestätte und ward von der holländischen Leichenpredigt, von der er kein