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einmal einer her, der Wein holen will, um damit zu wuchern, dessen letztes 
Brot ist gebacken! 
Das Mädchen brachte seinem Vater den Wein, der den Gästen 
trefflich schmeckte, ohne daß sie erraten konnten, woher er kam. — So oft 
nachmals in dem Hause ein kleines Fest war, holte Ilse Wein vom Kyff- 
häuser in dem kleinen Eimer. Aber lange dauerte die Freude nicht. Die 
Nachbarn wunderten sich, woher der añne Mann den herrlichen Wein 
bekam, der in dem ganzen Lande so gut nicht war. Der Vater sagte es 
keinem, Ilse auch nicht. 
Aber gegenüber wohnte der Schenkwirt, der mit verfälschtem Weine 
handelte. Dieser hatte den Ritterwein auch einmal gekostet und dachte: 
den Wein könntest du mit zehnfachem Wasser verdünnen und doch teuer 
verkaufen. Er schlich dem Mädchen nach, als es zum viertenmal mit 
dem kleinen Eimer nach dem Kyffhäuser ging, versteckte sich unter dem 
Gebüsch, als es stehen blieb, und sah es nach einiger Zeit aus dem Gange, 
der zu dem Keller führte, mit dem gefüllten Eimer herauskommen. 
Den nächsten Abend ging er selbst den Berg hinauf und schob auf 
einer Karre die größte leere Tonne, die er hatte auffinden können, vor 
sich her. Diese dachte er mit dem trefflichen Ritterwein zu füllen, sie des 
nachts den Berg hinunter zu rollen und dann alle Tage wieder zu kommen, 
solange noch Wein int Keller wäre. 
Als er an den Ort kam, wo er den Tag zuvor den Eingang zum 
Keller gesehen hatte, wurde mit einem Mal alles dunkel um ihn her. 
Der Wind fing an fürchterlich zu heulen, und das Ungetüm warf ihn 
und seine Karre und seine leere Tonne von einer Felsenmauer zur 
andern. Er fiel immer tiefer und tiefer, und kam endlich in eine — 
Totengruft. 
Da sieht er vor sich hertragen einen schwarz behangenen Sarg; und 
seine Frau und vier Nachbarinnen, die er an ihrer Kleidung und ihrem 
Wuchs deutlich erkannte, folgten der Bahre nach. Vor Schrecken fällt er 
in Ohnmacht. 
Nach einigen Stunden erwacht er wieder, sieht sich zu seinem Ent¬ 
setzen noch in der schwach beleuchteten Totengrust uno hört gerade über 
feinem Kopfe die ihm wohlbekannte Turmglocke in Tilleda zwölf schlagen. 
Nun wußte er, daß es Mitternacht war, und daß er sich unter der Kirche 
und dem Begräbnisplatze seines Dorfes befand. Er war mehr tot als 
lebend und wagte kaum zu atmen. 
Siehe, da kommt ein Mönch und trügt ihn eine lange, lange Treppe 
hinan, schließt eine Tür auf, drückt ihm schweigend etwas Geld in die 
Hand und legt ihn am Fuß des Berges nieder. — Es war eine kalte, 
eisige Nacht. 
Allmählich erholt sich der Schenkwirt und kriecht ohne Tonne und 
Wein seinem Hause zu. Es schlug eins, als er es'erreichte. Er mußte 
sich sogleich ins Bett legen; und — nach drei Tagen war er tot. Das 
Geld, das ihm der herzauberte Mönch gegeben hatte, reichte gerade zu 
seiner Beerdigung hin. Volkssagen nach Ottmar. 
Neuer thür. Kinderfreund. II. Teil. 2
	        
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