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Lebens- und Beschäftigungsweise der alten Germanen
9. Da sahen sie einst ragen
Der Alpen Höh'n im Schnee,
An Felsenufer schlagen
Den Waldstrom und den See.
10. „hier," riefen sie verbunden,
„hier ist's, hier haltet stand!
Wir haben es aufgefunden
Das alte Heimatland.
11. Wie glüht die Felsenspitze!
Da sind sie wieder ganz,
Die alten Göttersitze
Im Morgensonnenglanz.
12. Hier wollen wir wohnenund tagen
And gründen den Völkerbann,
Hier wollen wir auch jagen
Den Edelhirsch im Tann!"
Hermann von Lingg.
2. Lebens- und Beschäftigungsweise der alten
Germanen.
Ansere Vorfahren waren ein wesentlich kriegerisches
Volk, wie das die meisten Völker in den Anfängen ihrer Kultur
sind. „Sie halten es für das Anzeichen eines mattherzigen und
trägen Geistes," sagt Tacitus, „das durch Schweiß zu erwerben,
was man durch Blut leichter haben kann." Statt zu erarbeiten,
was sie zum Leben brauchten, gingen sie lieber auf Kriegsbeute
aus und ließen ihre Kriegsgefangenen daheim als Sklaven ihr
Feld bauen. Sie selbst lagen, so oft sie nicht auf kriegerische
Abenteuer auszogen, entweder der Jagd ob (die damals, wo
es den Kampf mit Bären, Auerochsen usw. galt, selbst eine Art
von Krieg war), oder der müßigen Ruhe, langem Schlaf, gemein¬
samen Schmausereien, höchstens den Aufregungen des Spiels (wie
Tacitus sagt, des Würfelspiels). Letzteres liebten sie so leiden¬
schaftlich, daß sie oft sogar ihre Freiheit auf einen Wurf setzten
und, wenn sie verloren, dem glücklichen Gegner sich selbst als
Sklaven ergaben.
Den Tod auf dem Schlachtfelde zogen sie dem Tode durch
Krankheit vor — umsomehr, als sie überzeugt waren, die gefallenen
Helden würden unmittelbar in den Götterhimmel Walhalla ver¬
setzt. So groß war die Kriegslust der Germanen, daß, wenn nicht
ein ganzer Stamm den Kriegspfad beschritt, die wehrhafte Jugend
aus eigene Hand, unter der Führung irgend eines Häuptlings,
auf kriegerische Abenteuer auszog oder auch in fremde Kriegs¬
dienste sich begab. Aus dieser Kriegslust entsprangen auch zum
großen Teil die häufigen Kämpfe der Germanen untereinander.
Mit Recht mochte Kaiser Tiberius, als er seinen Neffen Ger-