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I. Vom Körper des Menschen,
ren, um sie durch den Geschmack zu erkennen. Auch
kann man zu dem Ende verschiedne Flüssigkeiten in ver-
schiednen Verhältnissen zusammen mischen, und ihn daS
Verhältniß der Mischung angeben lassen. FürAerzte
und Apotheker ist bekanntlich ein feiner Geschmack nicht
unwichtig.
Da? Gefühl erseht dem Blinden den Mangel des
Gesichts fast ganz, und daraus erhellet, daß dieser Sinn
eines hohen Grades von Verfeinerung fähig ist. Man
erzählt Dinge von Blindgebornen, die unglaublich seyn
würden, wenn sie nicht bewährte Zeugnisse und die tagt
liehe Erfahrung für sich hatten. In Frankreich lebte
ein Blindgeborner, welcher die Chemie und Tonkunst
studiert hatte; er konnte mit den Fingern, vermittelst
erhabner Buchstaben, lesen, und lehrte es seinen Sohn.
Er beurtheilte die Nähe körperlicher Gegenstände nach
dem Grade der Wirkung, welche die Luft auf sein Get
sicht machte. So unterschied er sehr richtig eine offne
Straße von jeder andern, die keinen Ausgang hatte,
denn die geringste Veränderung des Dunstkreises emt
Pfand er km Gesichte. Die Schwere der Körper, den
Inhalt de? Gesäße gab er sehr genau an, denn seine
Hand war ihm eine untrügliche Wage und ein nie feh¬
lendes Maaß. — Daß Blinde durchs Gefühl Stü»
cke Geld erkennen, ist nichts Außerordentliches; aber
bewundern muß man das feine Gefühl desjenigen, der
unter einer Menge von Münzen jede falsche heraus-
fand, und wenn sie auch so gut nachgemacht war, daß
sie das Auge des Kenners betrügen konnte. Ein blin¬
der Bildhauer bildete Statüen in Thon so genau nach,
daß sie dem Original vollkommen glichen. Vor etlichen
Jahren starb in Deutschland ein Mann, der in seinem
Alter blind und taub geworden war. Er hatte sich aber
vorher