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Wasserprvbe, der Kesselfang, das Kreuzurtheil und der
gerichtliche Zweykampf waren. Diese Unschuldsproben
erhielten sich ungeachtet ihrer Unvollkommenheit bis ins
zwölfte Jahrhundert.
Der ganze sittliche und bürg erliche Z ustand
der Deutschen Völkerschaften, in den ersten Jahrhunder¬
ten nach der Völkerwanderung, war in gewisser Hinsicht
schlimmer, als das alte einfache Leben, da sie noch den
unmittelbaren Antrieben ihrer Natur folgten. Sie waren
in dem Uebergange aus dem unbewußten Naturleben zu
einiger Bildung; und diese Zeit eines Voikes ist die
übelste, weil das Bewußtseyn der sittlichen Würde zu er¬
wachen anfangt, ohne daß die Kraft der Selbstbeherr¬
schung schon da ist, um die gewaltigen Triebe und Lei¬
denschaften zu überwinden.
Doch muß hier bemerkt werden, daß die ganze vor¬
liegende Schilderung nur auf die ausgewanderten und er¬
obernden Deutschen Völker paßt, und daß dagegen die
Alemannen, Bayern, Thüringer und Sachsen, also die
Bewohner des eigentlichen Deutschlands, noch lange in
den alten Sitten und Verfassungen geblieben, und die
Bewahrer der Deutschen Eigenthümlichkeit gewesen sind.
6.
Bonifacius, Apostel der Deutschen.
Die Gothen, Burgunder, Longobarden und Franken
hatten schon früher das Cbristenthum angenommen; im
eigentlichen Deutschlande aber erschien es um ein paar
Jahrhunderte später. Denn obschon die Alemannen, Thü¬
ringer und Bayern den Franken unterworfen worden, so
gaben diese sich doch nicht viel Mühe, die heilige Lehre
unter ihnen zu verbreiten. Es schien, als wenn sie, die
das Christenthum durch Noth und im Getümmel der
Schlacht angenommen hatten, es auch nur durch das