Full text: Dr. Ludwig Wachler's Lehrbuch der Geschichte zum Gebrauche in höheren Unterrichts-Anstalten

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selben gelten; auf sie beschrankt sich die Auflösung einer Aufgabe, welche als letzter 
Zweck der gegenwärtigen Darstellung zu betrachten ist. 
Ungeachtet die Vorliebe für Beschäftigung mit Geschichte, nicht blos in 
Deutschland, so allgemein herrscht, wie in keinem Zeitalter der neueren Jahrhun¬ 
derte; die unglaubliche Menge der Geschichtbücher, welche jährlich hervortretcn und 
zwar in schnell folgenden neuen Ausgaben, bezeuget es; dennoch weichen die Mei¬ 
nungen über Vorbereitung und Begründung dieser Vorliebe oder über das Verfah¬ 
ren beym Geschichtuiiterrichte in Schulen aller Art, sehr weit von einander ab; 
viele Lehrer folgen einer Herkömmlichkeit, oft einem Ansehen und Machtspruche, 
ohne sich über ihr Thun und Treiben befriedigende Rechenschaft ablegen zu können; 
vielen wackeren Männern ist dieses Geschäft sogar eine Qual und sie gestehen sich 
im Stillen, daß ihre Arbeit bey strengerer Prüfung unfruchtbar und zwecklos be¬ 
funden werden dürfte. Dieß ist der Bestimmunggrund zu dem Versuche, in gedräng¬ 
ter Kürze und im eigentlichsten Sinne durch einfache Andeutungen einen Weg zu 
bezeichnen, auf welchem die Einführung in die Beschäftigung mit Geschichte nicht 
nur für die Schuljahre, sondern für das bürgerliche Leben, hoffentlich leichter und 
sicherer und, was die Hauptsache ist, mit bleibendem sittlichem Erfolge gelingen 
kann; wobey vorzüglich gelehrte Unterrichtsanstalten berücksichtigt werden. 
Von der Beschäftigung mit Geschichte wird ein zweyfaches Ergebniß er¬ 
wartet. Einmal veranschaulicht sie die Vergangenheit, um die Gegenwart zu er¬ 
klären; mit gewissenhafter Treue stellt sie die verschiedenen Arten des gesellschaft¬ 
lichen Zustandes der Menschen in eigenthümlicher Natürlichkeit dar, damit diese 
Zustande als natürlich erkannt werden können; auf gleiche Weise, wie die Beschäf¬ 
tigung mit den Erscheinungen der uns umgebenden Natur, lehret sie das Vorhan¬ 
dene verstehen und anerkennen. Sodann, indem der Gang verfolgt und aufgehellt 
wird, welchen das Menschengeschlecht in wundersamer Mannigfaltigkeit genommen 
hat, um zu dem ihm jetzt eigenthümlichen Daseyn zu gelangen, hinterlaßt sie ei¬ 
nen sittlichen Gesammteindruck, die Frucht, an welcher die Güte des Baumes, der 
sie tragt, erkannt wird; Glauben an göttliche Weltregierung und an höhere Be¬ 
stimmung der Menschheit, Achtung für Wahrheit und Gerechtigkeit, Liebe zum Ge¬ 
meinwesen, freudigen Willen, durch eifrige Pflichterfüllung mitzuwirken zum 
Wohle und Heile des Geschlechtes, ohne die Granzen des Kreises zu überschreiten, 
welche der äussere Lebensberuf bestimmt. Dieses zweyfache Ergebniß, das verstän¬ 
dige Erkennen und das in diesem Erkennen begründete und die menschliche Weltan- 
sicht erzeugende und leitende sittliche Gefühl, ist eng in sich verschlungen; beide 
Bestandtheile desselben greifen in einander ein und bedingen sich wechselseitig. Das 
letztere hat allgemeinere Gültigkeit und eignet sich hauptsächlich für Volks- und 
Bürgerschulen, das erstere nimmt mehr die Thütigkeit der höheren Unterrichtsan- 
stalten in Anspruch, ohne in sich selbst abgeschlossen seyn zu können. Weder dieses 
noch jenes kann von todtem Mechanismus, von einem unverständlichen, vorn herein 
zwecklosen und dem Geber wie dem Empfänger gleich beschwerlichen Spiele mit 
Namen und Zahlen abhängig gemacht werden. Der Gegenstand ist zu edel, um 
auch nur in den sogenannten ersten gröberen Hauptzügen durch Zwangmittel einge¬ 
prägt und eingeübt und späterhin durch schmerzliche oder widrige Nachempsindun- 
gen und Rückerinnerungen verleidet werden zu dürfen; solcher unglücklichen Hülfen 
bedarf es durchaus nicht. 
Der Geschichtunterricht schlicsse sich an Verwandtes an, was dem kindlichen 
Gemüthe nicht fremd ist, und nehme nahe Liegendes, was der Wißbegierde zusaget, 
in sich auf; so wird er bald und leicht Eingang und Heimath finden. In Volks¬ 
und Bürgerschulen werde er mit Religionsunterricht verbunden oder an denselben
	        
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