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Die Vorboten der neuen Zeit.
Manuskripten, durch Anlegung von Bibliotheken, durch Gründung von
Akademien und durch freigebige Unterstützung gelehrter und geistreicher
Männer erworben, haben wir erwähnt (8, 356, 358); auch wurde bereits
bemerkt, wie im Niederland durch die Brüderschaft des gemein¬
samen Lebens ein verbesserter Schulunterricht (zu Deventer) begründet
und dem geisttötenden Scholasticismus entgegen gewirkt worden (§. 326);
hier wollen wir nun betrachten, welche Wirkungen die neue aus den Wer¬
ken der Griechen und Römer geschöpfte Wissenschaft und die von Italien
über ganz Europa verbreitete Cultur auf den Bildungsgang des Abend¬
landes übte. ,
§. 397. In Italien wetteiferten im 15. Jahrhundert viele glän¬
zende Höfe und reiche Städte miteinander um den Ruhm Beförderer der
Künste und Wissenschaften zu sein. Der Lohn und die Ehre, die dadurch
dem Talent zuflössen, erzeugten bei der bildungsfähigen, regsamen Nation
einen Cultnrgrad, wie er nur in einzelnen Staaten des Alterthums be¬
standen. Werthvolle Manuskripte wurden eingesammelt und durch die
B u ch dru ckereien , die allenthalben aufkamen, und wovon einige, wie
die Aldinische (des Aldus Manutius) in Venedig, zu hohem Ruhm
gelangten, vervielfältigt und verbreitet; Wörterbücher und Grammatiken
wurden bearbeitet; Erklärungen und Uebersetzungen erleichterten das Ver¬
ständniß der alten Schriftsteller. Und hatte man sich bisher fast ausschlie߬
lich mit der römischen Literatur befaßt, so wurde jetzt auch das Hellenen¬
thum zugänglich, seitdem in Florenz u. a. O. die griechische Sprache ge¬
lehrt und der Aufenthalt kenntnißreicher Byzantiner in Italien während
der Vereinignngsvcrsttche der beiden Kirchen und seit der Eroberung Kon¬
stantinopels (§. 382, 383) das Erlernen dieser Sprache erleichterten (Chal-
condylas, Lascaris, Theodor Gaza u. a.). Ein klassisches Latein ver¬
drängte die barbarische Sprache der Scholastiker und das Mönchslatein
•H-S57. des Mittelalters, und schon Laurentius Valla wandte seine neuen
Sprachkenntnisse zur Bekämpfung der Schulweisheit, zur Erläuterung des
Bibeltertes und zur historischen Kritik an. Aber nicht blos das entartete
Kirchenthum erlitt durch die neue Bildung einen heftigen Stoß, sondern
auch die christliche Religion und Moral. Die Anhänger der platonischen
Weisheit (Akademie) und der aristotelischen Philosophie (Peripate-
tiker), die zwei feindliche Parteien bildeten, vergaßen das Evangelium
und die christliche Weltanschauung über den Lehren ihrer Meister und aus
Bewundcnlng und Nachahmung der Denk - und Redeweise des Alterthums
fanden die gelehrten Kardinäle und Prälaten endlich Gefallen an heidnischen
Vorstellungen und Ansichten, und überließen die Lehren des Christenthums
dem ungebildeten Volke, dem die heidnische Weisheit nicht zugänglich war,
und das sich in demselben Grade dem Aberglauben hingab, wie jene
in Unglauben versanken. Mit der Gleichgültigkeit gegen das Evange¬
lium (Jnd ifferen t i smus) ging der Verfall der Moral und Tugend
bei den höher» Ständen Hand in Hand. Eigennutz und Selbstsucht ward
die Duelle alles Thuns, weltliche Klugheit wurde allein geachtet. So ent¬
stand jene sittliche Verworfenheit, die der florentinische Staatsmann und
Hür7. Geschichtschreiber Macchiavelli in seinem „Fürsten" der Welt ent-