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Geschichte der alten Welt.
dritten die Parteikämpfe und die verwickelten (complicirten) Zustände
einer verfeinerten und übergebildeten Welt. Dabei erlangt man die
Lehre, daß Vaterlandsliebe (Patriotismus), Bürgertugend
und Einfachheit der Sitten Reiche und Nationen groß machen,
Selbstsucht (Egoismus) und die daraus hervorgehende Genu߬
sucht und Verweichlichung sie zu Grunde richten.
§. 12. Da Reiche und Nationen bestanden, ehe die Schreibkunst
in Anwendung kam, die Menschen Kriege führten und bürgerliche Ein¬
richtungen trafen, ehe sie ihre Thaten aufzeichneten, so haben wir über
die älteste Geschichte sehr dürftige, aus unzuverlässigen Quellen ge¬
schöpfte Nachrichten. Denn theils beruhen sie auf mündlicher Er¬
zählung (Tradition), die sich von Mund zu Mund fortpflanzte,
aber durch die Uebertragung fremdartige und fabelhafte Zuthaten an¬
nahm, theils gründen sie sich auf geschichtliche Denkmale, als Gränz-
steine, Grabhügel, Monumente, Trümmer uralter Bauwerke, Münzen,
Geräthe, Waffen u. dgl. Daher ist die älteste mit Sagen (My¬
then) und Dichtungen durchflochtene Geschichte fabelhaft (my¬
thisch) und mehr für die epische Dichtkunst, die mit Vorliebe
ihre Stoffe aus der Heroenzeit (Heldenalter) wählt, als für die
Geschichtschreibung von Bedeutung. Diese wird erst zuverlässig, wo
gleichzeitige oder doch dem Raum und der Zeit nach nicht allzu fern
lebende Schriftsteller uns berichten, was sie erlebt, erforscht oder durch
Erzählung vernommen haben. Mit der Zunahme der Cultur gewinnt
dann die Kenntniß der geschichtlichen Ereignisse immer mehr an Licht
und Wahrheit, bis zuletzt die Ueberfülle schriftlicher Urkunden dem For¬
scher neue Dunkelheiten und Schwierigkeiten anderer Art bereitet.
§. 13. Vor Erfindung der Buchdruckerkunst (1440) wurden die
historischen- Nachrichten, so wie alle Werke der Literatur blos geschrieben und
als Handschriften (Manuskripte) in Bibliotheken aufbewahrt.
Von diesen auf Pergament oder Papyrus geschriebenen Manuskripten,
die Jahrhunderte lang (manchmal verwischt und neu beschrieben, Palim-
sc st e) im Staube der Klosterbibliotheken gelegen und deren Vervielfältigung
durch Abschreiben sehr kostspielig und mühsam war, wurden später gedruckte
Ausgaben veranstaltet, die die Verbreitung der Geschichtsknnde schnell förder¬
ten. Doch hat man auch jetzt noch handschriftliche Urkunden, von denen der
Geschichtsorschcr Einsicht nehmen muß, besonders wenn er Ereignisse unserer
Zeit darstellt. Diese bestehen in Briefen, Verträgen, Denkschriften u. dgl.
und wcrdcir in Archiven aufbewahrt.
§. 14. Indessen genügt es nicht zu wissen, was geschehen ist, son¬
dern man muß auch den Ort und das Land kennen, wo und die Zeit wann
etwas geschehen ist. Jenes lernt man durch die Geographie oder Länder¬
kunde und T opograph ie oder Ortskuudc, dieses durch die Chro u olo-