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Altdeutsche Dichtung
DaS älteste Gedicht dieser Gattung ist der Lanzelot deS Ulrich vonZazichoven (c. 1192),
worin die Irrfahrten, Abenteuer und Schicksale eines jungen Ritters, der nie die Heiterkeit und den
jugendlichen Frohfinn verliert, ohne hohe Kunst und ohne stttliche Würde geschildert sind; von gleichem
Werthe ist der Wigalois ober Ritter mit dem Rade desWirnt von Gravenberg (1212), in
welchem der Dichter nach einer mündlichen Erzählung die Thaten, Abenteuer und Liebesgeschicke einer
Ritters darstellt, der von Syrien aus, wo seine Mutter wohnt, nach Arthur'S Tafelrunde zieht, um
seinen Vater Gawein zu suchen. Wirnt ist so wenig objektiv, daß er nicht nur seine eigenen An¬
sichten und Lebenserfahrungen häufig zu erkennen gibt, sondern sogar den Grafen Hoher den Rothen
von Mannsfeld in die Erzählung eiuflicht. — Wichtiger find die 3 folgenden Dichter.
§. 18. Hartmann von der Aue (im Schwäbischen) vereinigt mit edler,
frommer Gesinnung Zartheit und Tiefe der Empfindung, Gemüthlichkeit und
seines Gefühl. Dies tritt weniger hervor in der dem britischen Sagenkreise ange¬
hörenden, mit abenteuerlichen Zügen und Kämpfen angefüllten Epopöe Jwein oder
der Ritter mit dem Löwen, als in der seiner Natur mehr entsprechenden schwä¬
bischen Legende vom armen Heinrich. In dieser, an sich wenig poetischen Sage
hat Hartmann die Treue und Hingebung eines reinen Gemüths und die idyllische
Häuslichkeit so anziehend und gemüthvoll geschildert, daß die Legende sich seitdem
als Volkserzählung erhalten hat.
Inhalt: Ein reicher Ritter ist mit einem unheilbaren Aussatze behaftet, von dem ihn nach der
Aussage eines weisen Meisters in Salerno nur der freiwillige Opfertod einer unschuldigen Jungfrau
zu retten vermag. Da er aber dieses Opfer weder hofft noch wünscht, so verschenkt er all sein Gut
und begiebt sich in die Wohnung einer ihm zugehörigen Bauernfamilie, um unter ihrer Pflege sein
Leben zu beschließen. Hier hört die fromme Pächterstochter die Bedingung, unter der die Heilung
des geliebten Herrn möglich wäre und läßt sich weder durch die Bitten und Thränen ihrer Eltern
noch durch die Vorstellungen Heinrichs abhalten, ihr Blut für ihn zu lassen. Sie begibt sich nach
Salerno. Schon werden Anstalten zu ihrem Opfcrtode getroffen, als Heinrich denselben hindert
und mit der Jungfrau die Rückkehr antritt. Aber auf der Reise wird durch ihr inbrünstiges Gebet
eine wunderbare Heilung herbeigeführt, worauf Heinrich sich mit seiner Retterin vermählt und all
sein Gut wieder erlangt.
§. 19. Wolfram von Eschenbach (c. 1200). Wolfram von Eschenbach,
ein armer Ritter aus Franken, der sich am Hofe Hermanns von Thüringen auf¬
hielt, dichtete (e. 1205) den Parzival nach einem französischem Vorbilde (von
Guyot). Wenn gleich auch dieses merkwürdige Gedicht seinem Inhalte nach nicht
frei von den Fehlern ist, die wir an den übrigen Behandlungen dieses Sagenkreises
gerügt haben; wenn gleich auch hier oft Begebenheiten an Begebenheiten gereiht
sind ohne innern Zusammenhang, ohne Ziel und Beweggründe, so liegt demselben
doch ein tiefsinniger Ernst, eine hohe Idee zum Grunde und nirgends finden wir
den Geist der Zeit, wo Weltlichkeit und Kirchlichkeit so innig verbunden sind,
deutlicher veranschaulicht als hier.
Parzival wirb von seiner Mutter in die Einsamkeit eines Waldes fern vom Geräusche der
Waffen, denen sein Vater erlegen war, erzogen. Hier in stiller Natur werden durch den Gesang
der Vögel und die Lehren seiner Mutter nur die sanften Regungen des Gemüths genährt, ohne jedoch
die ererbte Thatenlust in ihm zu tilgen, die mit aller Stärke hervorbricht, als sich ihm zufällig einige
Ritter nähern und ihm den Rath geben, sich an Artus'Hof zu begeben. Umsonst kleidet ihn seine
Mutter in Narrengewänder, um ihn dem Spotte der Welt Preis zu geben und zur Rückkehr zube¬
wegen — seine Thaten verschaffen ihm bald die Aufnahme unter die Ritter der Tafelrunde- Als sol¬
cher zieht er auf Kampf und Abenteuer aus, wovon ihn selbst seine Vermählung mit Conduiramur,
deren Schloß er von einer drängenden Belagerung befreite, nicht lange abzuziehen vermag. Auf
seinen Zügen kommt er zur Burg des heil. Gral, die der Priesterkönig Titurel auf Montsal-
vatsch in Spanien erbaut hatte, und wo gerade der kranke König Amfortas seiner Befreiung
entgegen harrt.