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schnell ein Gläschen, dann magst du weiter gehen! Sollst sehen,
wie es danach warm durch deine Glieder zieht!“
Warm wird's dem getäuschten Manne. Aber wie lange hält
dieses Wärmegefühl stand? Gar bald macht es einer um so empfind—
licheren Kälte Platz. Jenes Kreuz dort am Wege zeigt dir die Stelle,
wo er erfroren aufgefunden wurde.
„Ich stärke dich!“ sagt er zum Holzhacker, der ermüdet und
schweißtriefend vor seinem Holzstoße steht. „Trink nur mal ein
Schlückchen! Fühlst du nicht, wie so ein paar Tröpfchen stärken
können?“
Sahst du schon einen abgetriebenen Gaul mit auf- und ab—
gehenden Flanken mühsam seinen schweren Karren den Berg hinan—
schleppen? — „Ich muß mein Rößlein einmal stärken,“ denkt der
Fuhrmann und haut das geplagte Tier. Und siehe da, es zieht auch
wieder besser.
Du glaubst doch nicht, daß die Peitsche dem Tiere neue Kraft
gegeben habe? Fuhrmann und Holzhauer gleichen jenem törichten
Müller, der das Wasser so heftig auf die Räder richtet, daß sie im
allerschnellsten Laufe herumgejagt werden. Ein Wasserguß, ein
Peitschenschlag, ein Schlückchen nach dem andern sind das sicherste
Mittel, um auch das kunstreichste Maschinenwerk recht schnell zu ver—
derben.
„Ich heile dich!“ tröstet er den Kranken. „Schau dich nur
einmal in der Apotheke recht um! Dort stehe ich mitten zwischen
den Arzneimitteln. Sicher helfe ich dir!“
Können unsere Giftpflanzen nicht mit gleichem Rechte so
sprechen? Warum hält aber der Apotheker ihren Saft so sorgsam
verschlossen? Daß mit dem Gisfte nicht leichtsinnig umgegangen
werde und nicht jeder davon bekomme. Nur auf Verordnung des
Arztes verabreicht er davon. Unser falscher Freund hat es ver—
standen, der Apotheke zu entfliehen. Als Lebenswasser für Kranke
verschrieben, bewährte er sich seit Jahrhunderten. Heute aber, wo
er jedermann zugänglich ist, lügt er geradeso wie der Teufel, der
Eva belog, wenn er sagt: „Ich heile dich!“
„Ich mache munter und froh!“ verspricht er dem Mutlosen.
„Höre nur, wie deine Kameraden lachen und singen! Sieh, wie
sie sich brüderlich umarmen und necken! Ist es nicht eine Lust, in
ihrer Mitte zu sein?“
Folge mir einen Augenblick in die Gefängnisse! Frage dort
die Messerhelden und Totschläger, wer sie hinter Schloß und Riegel
gebracht habe! Die meisten werden dir mit geballter Faust ant—
worten: „Dieser Lustigmacher, der Branntwein.“ — Begleite mich
in eine Irrenanstalt! Woher kommt's, daß ihre Räume so gefüllt
sind mit den bedauernswerten Geschöpfen? Wiederum lautet die
Antwort: „Unser Freudenbringer und Sorgenbrecher, der Brannt—
wein ist schuld daran.“ H. Droste, Die Schule und die Mäßigkeitssache, Berlin.