12 Gang und Gliederung der christlichen Geschichte.
jener Entdeckungen waren andere, als die von den kühnen Entdeckern ge¬
hofften und gewünschten. Doch auch so hatten sie eine Bedeutung, durch
welche sie einen Nuhepunkt in der Betrachtung der Weltgeschichte fordern.
Wenn sich die Veränderungen, die sich vom Ende der Kreuzzüge bis zum
Beginn der großen Entdeckungen an dem Zustande der Menschheit ergeben
haben, größtentheils in den Nahmen der Geschichte des römisch-deutschen
Reiches fügen lassen, so bleiben doch jedenfalls außerhalb dieses Rah¬
mens als in voller Absonderung für sich verlaufend die gleichzeitigen
Begebenheiten der auch jetzt in steter Wechselwirkung begriffenen Reiche
Frankreich und England so wie der auf der pprenäischen Halbinsel, in
Skandinavien und in Rußland in demselben Zeiträume eingetretenen
folgenreichen Veränderungen. England und Frankreich, deren beider¬
seitige staatliche Entwicklung ein stets erneuter gegenseitiger Streit be¬
gleitet, durchleben jetzt die Zeit des heißesten Kampfes. Die Zeit, da
England obsiegt, ist für Frankreich zugleich eine Zeit blutiger innerer
Wirren und seit der Zeit, da Frankreich sich Englands erwehrt hat, wird
dieses von Parteihaß tief zerrissen. Doch in beiden Ländern geht, so
daß sie in diesem Betrachte einen Gegensatz zu dem römisch-deutschen
Reiche bilden, aus dem Graus der Zerstörung die königliche Macht ver¬
jüngt und verstärkt hervor, indem sie in Frankreich die den Thron um¬
gebenden Fürsten beugt, in England die Befugnisse des Parlaments
außer Uebung setzt. In den drei Ländern, die rings um den Kern
Europa's als äußerste Glieder liegen, zeigt sich, nachdem im vorigen
Zeiträume die Weltgeschichte ihrer nur vorübergehend zu gedenken
brauchte, in diesem ein Zug zur Einigung getrennter Theile, der überall
zu stärkerem Einwirken auf die Verhältnisse der gesammten Menschheit
befähigt und so in diese dem Raume nach abgelegenen Länder ein stär¬
keres geschichtliches Leben strömen läßt.
6. Um die Zeit, da die großen Entdeckungen zur See gemacht
wurden, trat unter dem Mitwirken einer Menge denselben theils voraus-
gegangener, theils nachgefolgter Veränderungen ein solcher Umschwung
aller Verhältnisse ein, daß man hier gleichsam den tiefsten Einschnitt
der ganzen christlichen Geschichte machen zu müssen geglaubt hat. Zn
der That gewinnen auch seit jener Zeit die geschichtlichen Begebenheiten
in sofern ein anderes Ansehn, als sie von dem Standpunkte der Ge¬
genwart aus verständlicher erscheinen. Es bedarf minder als für die
vorausgegangenen Zeiten, damit das Geschehene begriffen werde, einer
Versetzung in fremd gewordene Zustände und eines Abstreifens gang¬
barer Anschauungsweisen. Die großen Begebenheiten stehen mit den
in der Gegenwart herrschenden Verhältnissen in so naher Verbindung,
daß sie durch den Blick auf die Gegenwart fast unmittelbar in Erinne¬
rung gebracht werden. Daher finden sich denn auch Beweggründe und