fullscreen: Deutsches Lesebuch für die mittleren Classen höherer Lehranstalten

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Kleinere epische Dichtungen. 
9 Setzt bald sich drauf, wie wenn es ihn 
* unsichtbar ergreift, 
Indeß das Blut des Thieres ihm in die 
Stülpen läuft, 
Und wühlet mit den Sporen im Sande hin 
und her — 
Und blicket nicht vom Boden und seufzet oft 
und schwer. 
10 Da kommt auf hagerm Klepper ein 
Bauer hergetrabt, 
Im blauen, wollnen Wamse, zerfetzt und ab⸗ 
geschabt, 
Mit rundem Hut und Troddeln um sein ge⸗ 
stiefelt Bein. 
„Glück zu!“ ruft Rosen, „Freunde, das muß 
ein Pommer sein!“ — 
11 , Wo find' ich hier den König?“ Der 
alte Bauer spricht, 
Und sitzet ab und wischet den Schweiß sich 
vom Gesicht. 
„Da sitzt er auf dem Rosse, geh' muthig nur 
hinan!“ — 
„Gott grüß' Euch, edler König! Ihr seid 
wohl schlecht daran?“ — 
12 Der König hebt das Auge: „Wer bist 
Du und von wo?“ — 
„O Herr, ich bin ein Bauer, vom Dorfe 
Conerow [merland, 
Bei Wolgast, Eurer Stadt im fernen Pom— 
Und heiße Müsebaek und bin an Euch gesandt!“ 
13 „Und wer hat Dich gesendet?“ dar— 
auf der König spricht. 
wohl sagen, jedoch ver— 
übelt's nicht: 
Wir wohnen dort zusammen drei Bauern an 
der Zahl, 
Und hörten ost mit Schmerzen, Ihr trüget 
Hungerqual. 
14 Drum brachten wir zusammen, was 
unsre Armuth litt, 
zu Pferde und that den 
sauern Ritt. 
Doch Gott hat mich geschützet, die Reis' ist 
mir nicht leid, 
Wollt Ihr nur nicht verschmähen, was Euch 
Lin Bauer beutl 
und löst die Troddeln von 
seinen Stiefeln los, 
Und holt aus jedem Schafte zwei Düten, 
schwer und groß, 
Golde, senkt sich auf 
sein K 
gnäd'ger König, da sind 
sie, nehmet sie!“ 
16 Wie das der König höret, da springet 
er empor 
Und zwischen seinen Wimpern bricht eine 
Thrän' hervor: 
„O Freunde, seht, mein Adel gedenket mein 
nicht mehr; 
Doch einen armen Bauer führt seine Liebe her! 
17 Und ob Dich Gott geschlagen schon 
selbst zum Edelmann, 
Nimm auch von Deinem König den Ritter— 
schlag noch an; 
Knie hin, daß ich Dich ehre, so wie Du mich 
geehrt!“ 
Und sprich's, und aus der Scheide reißt er 
sein Königsschwert. 
18 Jedoch der Baur versetzet: „Herr König, 
haltet an! 
Was thät ich armer Bauer wohl mit dem 
Edelmann? 
Hab' schon genug zu sorgen vom Morgen 
bis zur Nacht, 
Und habe nichts erworben, als was ich Euch 
gebracht. 
19 Drum bitt ich, lieber König, daß Ihr 
mich nicht beschämt, 
Ich bin ja schon zufrieden, wenn Ihr mein 
Scherflein nehmt; 
Als Bau'r bin ich geboren, und wenn es 
Gott gefällt, 
So geh' ich auch als Bauer einst wieder aus 
der Welt!“ 
20 Der König senkt den Degen und sieht 
ihn düster an: 
„Ich nehme keinen Groschen, den ich nicht 
lohnen kann!“ 
Der Alte steht und sinnet: „So laßt uns 
Bau'rn die Pacht, 
Die wir von unsern Höfen bis dahin auf— 
gebracht!“ 
21 Der König winkt, der Canzler entwirft 
das Instrument, 
Der König nimmt es hastig, sein Adlerauge 
brennt; 
Drei Haare reißt der Edle aus seinem Bart 
und legt 
Sie auf das Wachs, das rothe, und rufet 
tief bewegt: 
22 , Verflucht, wer dieses Siegel, wer dies 
Versprechen löst!“ 
Indem er mit der Rechten das Petschaft 
niederstößt, 
drohend an seinen Degen 
schlägt, [bewegt: 
klirret und sich der Tisch
	        
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