Full text: Die Zeit von Christi Geburt bis zum Regierungsantritt Karls des Großen (Bd. 2, Abth. 1)

164 Julianus der Abtrünnige 361—363. — Jovianns 363 — 364. 
er sich an ihr durch Spott und kündet durch Bitterkeit seinen Ärgers. Wie 
für ihn die Lehren der Geschichte vergeblich waren, beweist, daß er, wie Dio- 
cletianus vergeblich versucht hatte, die Wolfeilheit der Lebensbedürfnisse zu 
erzwingen gedachte^). Was andere entschiedne Heiden vor ihm erkannt, daß 
Verfolgung und Herabwürdigung des Christentums demselben nur genützt, 
blieb ihm verborgen; sein anfänglich mildes Verhalten steigerte sich ja zu im¬ 
mer größrem Hasse und wer weiß, wozu ihn noch die Vergeblichkeit seiner Be¬ 
mühungen verleitet haben würde3). Man mag noch so viele Entschuldigungen 
für seinen Abfall vom Christentum in dem Zwang, welcher gegen ihn ausgeübt 
ward, und in der sittlichen Unwürdigkeit seiner Nächsten finden, warum blieb 
ihm der Unterschied zwischen dem wahren Christentum und seiner Verunstal¬ 
tung verborgen, wärend er doch andren Heiden klar ward H? Die reine, un¬ 
gefärbte, nicht in hohem Wortgeklingel einhertretende, das Herz zerknirschende 
und zerstoßende Wahrheit war seinem Geist und Herzen zuwider. Und was 
nahm er an die Stelle dessen, was er verwarf? Die alte Volksreligion? Von 
einer solchen fehlte ihm jeder Begriff. Ein unklares, an Widersprüchen reiches, 
allen Aberglauben unter einer monotheistischen Idee zu vereinigen strebendes, 
die Mythen allegorisch deutendes System sollte der Glaube aller Völker, my¬ 
stisch-phantasmagorisches Zauber- und Orakelwesen das Grundmotiv aller 
Seelen worden3). So bietet er ein abschreckendes Beispiel, wie die Verwer¬ 
fung der Wahrheit dem thörichtsten Aberglauben in die Hände führt. Wir wollen 
alles Geniale, Große und Schöne an ihm anerkennen, er bleibt dadurch nur 
um so mehr ein bedauernswerter Mensch. Sein Verfahren war vergeblich; 
dem Christentum hat er durch seinen Haß nur genützt, der positiven Wahrheit 
neue Festigkeit gegenüber dem gewaltthätigen Arianismus verliehn und die 
Gemüter durch die Hinweisung auf große Gefahr zu größerer Einmütigkeit 
und innerer Glaubenskräftigkeit getrieben. In ihm tritt uns schließlich wieder 
ein Zeugnis entgegen, daß die römische Welt unfähig war, allein das Evan¬ 
gelium zu tragen. 
von Inlianus' Tod bis ?nm beginn der großen Völkerwanderung. 
§ 42. 
Jovianns 363—364. 
1. Julianus hatte absichtlich über die Nachfolge nichts verfügt: er wolle 
keinen dem Streit des Neides aussetzen''). Die gefährliche Lage forderte einen 
mit der höchsten Gewalt bekeideten Führer. Der tüchtigste, Sallustius, lehnte 
wegen Alters und Kränklichkeit ab. Man fiel auf den ersten Befehlshaber der 
Leibwache Jovianns, der unter schwierigen Verhältnissen, wie kein andrer, 
1) Über sein Verhalten gegen die Antiochener und den Misopogon s. Amm. 
XXIII 2, 4. — 2) Vgl. S. 134 Anm. 1. Amni. XXII 14, 1 u. 2. — 3) Amm. 
XXII 5 beweist deutlich, wie er durch den Zauber seiner Rede die Christen zu seinen 
Ansichten und Marimen zu bekehren hoffte, leichter als die wilden und rohen 
Deutschen. — 4) Amm. XXI 16, 18 über Constantius: Christianam religionem ab¬ 
solutam et simplicem anili superstitione confundens cet. — 5) Vgl. NJbb. XXXI 
441—453. Der ewige Streit über die Deutung der Anzeichen zwischen den Philo¬ 
sophen und den Priestern (Arnrn. XXIII 5) hätte doch einen klaren Kopf zur Be¬ 
sinnung bringen müssen, I. setzte nichts als Fatalismus entgegen. Ja er schwankte 
selbst über die Macht und das Wesen der Götter, indem er dem Mars ultor nicht 
mehr opfern zu wollen erklärte (Amm. XXIV 6, 17). Sein System ist ein ncopla- 
tonischcs, aber es fehlt ihm der Tiefsinn eines Plotinus.— 6) Amm. XXV 3, 20.
	        
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