Full text: Die Zeit von Christi Geburt bis zum Regierungsantritt Karls des Großen (Bd. 2, Abth. 1)

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Vespasianus 69 — 79. 
auf welche nicht leicht jemand verfallen fein würdet, auch daß er für den 
Herscher zu sehr speculierte^), aber einmal erheischten die Bedürfnisse, zumal 
wenn es galt für die Zukunft vorsichtig Mittel zu sammeln, außerordentliche 
Maßregeln, sodann ließ er niemanden um der Confiscation seines Vermögens 
willen hinrichten, wenn schon er um Geldes wegen mit Meidung des schlimmen 
Scheins manches that; endlich verwandte er das gehäufte Geld zu nützlichen und 
schönen Dingen. Die Herstellung des Capitols, die Erbauung des Colosseums 
und des Friedenstempels, die Vollendung des Wiederaufbaus der vom großen 
Brande noch in Trümmern liegenden Stadtteile und die dabei gespendeten 
Belohnungen bewiesen, daß er den Wert des Schönen neben dem Nützlichen 
wol erkannte. Und wenn er zuerst den Rhetoren jährliche Gehalte festsetzte, 
will man nicht darin den ersten Anfang einer Fürsorge für,bte Volksbildung 
und eine Anerkennung der Wissenschaft sehn? Freilich das Auswüchsige und 
Verkehrte fand in ihm keinen Freund. Mit der schon unter den frühern 
Regierungen verfügten Verweisung der Zeichen- und Sterndeuter (der mutlls- 
matici nach dem damaligen Begriff des Worts) ward um des willen nicht 
viel ausgerichtet, weil der dem Unglauben stets zur Seite gehende Aberglaube 
den treulosen und trügerischen Menschen doch Thür und Thor wieder öffnete3). 
Ernstere Vorwürfe hat man auf Vespasianus gehäuft, weil er die stoischen und 
cynischen Philosophen aus der Stadt wies und Helvidius Priscus, in 
welchem seine Zeitgenossen einen zweiten Cato Uticensis bewunderten, sogar 
hinrichten ließ, allein die Anmaßung dieser Leute vertrug sich uicht mit der 
Monarchie und sie hatten ihn vielfach gereiztH. Daß er Achaia, Lycien, 
Rhodus, Byzanz und Saums die Freiheit nahm, die Königreiche Thrakien, 
Kilikien und Kommagene in Provinzen verwandelte und Kappadokien durch Legio¬ 
nen unter einem Consularen sicherte^), war für diese Länder nur ein Glück, 
da sie nicht mehr zwei Interessen durch Abgaben und Steuern zu stillen hatten. 
2. Unter V. ward das Strafgericht Gottes an den Juden vollzogen. 
Statt durch äußre Leiden zur Erkenntnis der Wahrheit geführt zu werden, 
versank das unglückliche Volk in immer größere Verstockung. Seit Claudius 
(§ 13, 2) das Land zur Provinz gemacht — den Nachkommen des Herodes 
blieben nur unbedeutende Besitztümer; einem derselben, Herodes Agrippa 
ward die Hut des Tempels zu Teil — , stieg mit dem Drucke der Habsucht und 
Ungerechtigkeit, wie ihn schon Felir, Pallas Bruder, übte, der blinde Eifer 
für die äußerliche Befolgung des Gesetzes, das selbst der Vernunft nicht Raum 
gebende Vertrauen auf Jehovah's Verheißung, der bitterste Haß gegen Anders¬ 
denkende und Andersglaubende. Doch harrte die Geduld aus, bis 65 Nero 
Gessius Florus nach Judäa sandte, der seinem Herrn in Verachtung aller 
Sittlichkeit und alles Rechts Ehre machte. Der kaiserliche Befehl, welcher 
der Stadt Cäsarea Verwaltung der hellenistischen Einwohnerschaft zusprach 
und die dabei bewiesne Bestechlichkeit des Procurator, brachten 66 bcu Auf¬ 
stand zum Ausbruch. Unter Greueln und Morden bemächtigte sich die zelo- 
1) urinae vectigal Suet. Vesp. 23. Wietersh. I 151 hat dafür den treffenden 
Ausdruck „übergroße, kleinliche, oft an's Schmutzige streifende Fisealität." — 2) Dio 
LXVI 14. —1 3) Tac. h. I 22 genus hominum potentibus infidum, sperantibus fallax, 
in civitate nostra et vetabitur semper et retinebitur. — 4) Tac. h. IV 4. 5. 6. 9. 
43. Agr. 2. Dio LXVI 12 und 13. Suet. 15. Übrigens bereute V. deir Befehl zur 
Hinrichtung des Helvidius und suchte ihn rückgängig sin machen, kam aber damit ;u 
spät. Das unpraktische und eingebildete Wesen der Stoiker stellt das Verfahren des 
Musonius Rufus (den übrigens Vespasian in Nom ließ) bei Tac. h. III 81 vor 
Augen. — 5) Suet. Vesp. 9.
	        
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