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Otto I der Große 936 — 973. — Otto II 973 — 83.
die Nachwelt erbaut sich an den Zügen davon mit Bewunderung. Sein Geist
ist befangen in der Heiligen- und Reliquien-Verehrung, aber wir sinden
doch in ihm einen mächtig starken Glauben, eine demütige Beugung des
Herzens, beim redlichen Eifer zu Gottes und Christi Ehren zu wirken kein
Verlaßen auf die guten Werke. Seinen Anspruch auf strengere einheitliche
Unterordnung des Reichs unter das Königtum hat er gemildert und den
bestehenden Sonderungen Rechnung getragen. Will man ihn schelten, daß er
nicht gewaltsam unterdrückte, was zu Erzeugung frischen und manichfaltigen
Volkslebens sich damals heilsam erwies, daß er die Unmöglichkeit erkannte,
ohne alle Kraft und Ehre nach außen zerstörenden Kampf ein anderes Band,
als das des Lehnseids und der persönlichen Ergebenheit um das Reich zu
schlingen? Hat sich doch bewiesen, daß das deutsche Volk einmütig und opfer¬
bereit zu dem Herscher steht, der es zu Größe und Ehre führt. Der Deutsche
hat aufgehört den raubsüchtigen Völkern des Ostens und Nordens sein Bestes
hingeben zu müßen. Ein weites von nie ruhenden Feinden bewohntes Gebiet
ist zum Gehorsam gebracht, auf dem blutgetränkten Boden beginnt der Fleiß im
Schutze des Friedens sein Werk, an den Stätten der Tempel und Altäre
erheben sich Kirchen und Klöster und die jauchzend den Götzen blutige Opfer
gebracht, lernen zum wahren Gott und dem Erlöser beten. Nur persönlich ist
die Gebieterschast, die er über Frankreich und Burgund geübt. Hätte er sie
zu einer Vereinigung mit Deutschland gestalten wollen, er hätte einen Eingriff
in die nicht mehr rückgängig zu machende Entwicklung gesonderter Nationalitäten
gewagt und ein tragisches Ende wäre wahrscheinlich sein Loos gewesen.
Italiens Krone konnte und durste er auf sein Haupt setzen: hätte er das
Volk deutsch machen wollen, die Nachwelt würde ihn als einen Schwärmer,
der seine Zeit nicht verstanden, bemitleiden müßen. Es ist wahr, Italien hat
Deutschland unsäglich viel Blut und Gut gekostet, aber hat Deutschland aus
dem friedlichen Verkehr mit diesem die Schätze des Altertums reicher als
jedes andere besitzenden Land, ja selbst durch den um seinen Besitz zu führenden
Kampf keine Vorteile für seine innere Entwicklung davongetragen und wäre
ohne Otto's Eingreifen je das in Italien zur Reife gekommen, was es der
Welt zu bieten bestimmt war? Die römische Kaiserkrone ist freilich nur ein
Symbol, sie fordert, verleiht nicht Macht zu ihrer Führung. Aber will man
Otto einen Vorwurf machen, daß er im Kraftbewustsein die Wirksamkeit auf
seine Schultern genommen, welche die ganze Zeit mit jenem Namen verband
und ohne die man keine die Menschheit zu dauerndem Glücke führende Entwick¬
lung für möglich hielt?- Will man ihn schelten, daß er dem deutschen Volke die
Stellung an der Spitze der christlichen Welt anwies, weil an die Behauptung
derselben die Anspannung aller Kräfte gesetzt werden muste? Will man Tadel
auf ihn häufen, weil er, kein Zeichen dafür am Himmel der Zeit erkennend,
den Kampf nicht vorausgesehen, der über das Verhältnis zwischen den beiden
Spitzen der Welt, der geistlichen und weltlichen, im Laufe der Zeit sich ent¬
spinnen sollte? Otto I hat den Besten seiner Zeit genug gethan und die
Geschichte wird ihn stets unter denen nennen, die mit ihrer Person eine mäch-
tig fördernde Einwirkung auf den Gang der Weltgeschichte geübt.
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Otto II 973-83.
1. Bei dem unbezwinglichen Trieb nach möglichster Unabhängigkeit im
eignen Kreise konnte Alles, worauf Otto der Große bei der Durchführung der