202 Heinrich III der Schwarze 1030 — 1056. — Heinrich IV 1056 — 1106.
wir ihm Absichten zuschreiben, an deren Erreichung er nicht glauben konnte,
oder von ihm die Erkenntnis von Ausgaben fordern, die ihm noch nicht offen
vorgezeichnet lagen! Halten wir uns feinen Pflichteifer als Beispiel vor und
stärken wir uns am Ruhm, den er uuserm Deutschland gewonnen, vergeßen
wir nicht, daß sein Wirken ohne fein eignes Wissen den Absichten der Welt-
regierung, eben so wie sein früher Tod dienen muste!
§ 108.
Heinrich IV 1056 - 1106-
1. Der wichtigste, in seinen Folgen noch bis aus den heutigen Tag nach¬
wirkende Zeitraum des Mittelalters beginnt. Die beiden höchsten Gewalten
des Abendlands, Papsttum und Kaisertum, treten gegen einander zum Kampf,'
dessen Ausgang nur Unterliegen des einen oder des andern sein kann. Bei
der Verbindung, in welcher Kirche und Staat gestanden, macht er die Grund¬
lagen und Fugen des lehtern erbeben und auseinandergehn, eine Neuge¬
staltung desselben notwendig, welche jedoch in dem steten Wogen und Drängen
nur ruckweise erfolgen, nur nach vielen Schwankungen Consistenz gewinnen
kann. Deutschland, durch das Kaisertum zur Spitze des christlichen Abend¬
lands erhoben, büßt seine Erhöhung: es wird erniedrigt, weil es sich ohne
Verständnis für seine Größe selbst erniedrigt. Nicht allein die mit so schwerer
Mühe gegründete Neichseinheit wird in Frage gestellt, auch seine Nationalität
mit dem Aufgehn in das Wälschtum bedroht. Selbst als die gewaltige
Bewegung im Kampf des Christentums gegen den Islam, des Abendlands
gegen das Morgenland, ihre Spitze erreicht, wird der innere Streit nicht
gestillt; nur zeitweise tritt er in den Hintergrund, um in neuen Richtungen
nach andern Zielpunkten hin mit frischer Kraft hervorzubrechcn. Schwer ist
es über der Anerkennung der historischen Berechtigung des Kampfes das
Auge offen zu halten für die Verirrungen in Ziel und Mitteln, schwer aus
den Berichten der Zeitgenoßen, denen die Unmöglichkeit rascher und sichrer
Erkundigung und der Mangel an Überblick das Erzählen erschwerte, die
Vorgänge und ihren Zusammenhang in voller Wahrheit herauszufinden,
schwer wo die Partcileidenschaft das Auge blendet, den Mund zur Lüge ver¬
leitet, die Feder in das Gift der Verleumdung taucht, über die handelnden
Personen ein unparteiisches Urteil zu gewinnen H.
2. Mit gewaltiger Hand hatte Heinrich III der Großen Streben nach
weiterem Besitz und größerer Selbständigkeit niedergehalten. Jetzt war er
geschieden und seine Krone sollte aus das Haupt seines sechsjährigen Sohnes
übergehn. Ihre Seelen erfüllte gewis der eine Gedanke, mit allen Mitteln
zu verhüten, daß der Knabe das Regiment in gleicher Weise, wie der
Vater üben könne-). Hätte nicht gegenseitiges Mistrauen Einigung ver¬
hindert^), wäre nicht durch die milde Versöhnlichkeit, welche Heinrich III kurz
vor seinem Ende bewies, vielfache Unzufriedenheit beseitigt gewesen^), hätte
nicht der in Deutschland anwesende Papst Victor II sein ganzes Ansehen
und seine ganze Persönlichkeit für den Schutz des Rechts für den Sohn
1) Floto (Heinrich IV unb sein Zeitalter. 2 Bde. Stuttgart und Hamburg.
1855 u. 1856) hat das Verdienst, den protestantischen Standpunkt gegen den Roman¬
ticismus unb ein gerechteres Urteil über Heinrich IV 'gur Geltung gebracht zu haben.
Vollendeter freilich ist Giesebrechts Geschichte der deutschen Kaiserzeit, von welcher
des dritten Bandes zweite Abteilung benützen jit können mir zur größten Freude
gereichte. — 2) Floto > 53. 183. 200. — 3) Floto I 186. — 4) Gicscbr. II 350.