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Heinrich IV 1056 — 1106.
ängstlich bewachten Gefangnen auf. Keinen Helfer, keinen Berater fand Agnes,
den Verrätern ihren Raub wieder abzunehmen, das Bewustsein nicht ganz
ohne Schuld zu fein, suchte sie durch Bußübungen zu beruhigen, ihre mütter¬
liche Zärtlichkeit trieb sie, um nicht die Lage des Sohns zu verschlimmern,
denen, welche ihr das Liebste entrißen, zu verzeihn, politischen Einfluß wieder
zu gewinnen hielt sie ihr innerstes Wesen zurück. Wozu hätte es des Lugs
und Trugs bedurft, wenn die Verschwornen ein offenkundiges Recht gehabt,
um des Reichs willen eine andre Erziehung, eine andre Regierung zu fordern?
Aus dem König einen Fürstenknecht, aus dem Königtum einen nichtssagenden
Namen, aus dem Reich eine willkürlich schaltende Aristokratie zu machen, war
die Öffentlichkeit scheuende Absicht. Es thut Weh, heldenmütige Krieger, wie
Otto und Ekbert, mit den arglistigen Pfaffen verbündet zu sehen. Fühlten sie
sich stark genug den Wirkungen des Stachels, welchen sie dem Kinde ins Herz
gebohrt, wenn er Mann geworden, zu trotzen? Die bösen Folgen ihrer That
haben sie nicht vorausgesehen, aber Gottes Gerechtigkeit hat auch nicht zuge-
laßen, daß sie die gehofften Früchte genoßen H.
5. Auf der Fürsten Versammlung zu Köln (Pfingsten dess. I.)
erhob sich zwar keine das Unterfangen verwerfende Stimme, aber Anno
konnte sich die Reichsregierung doch nur durch trügerische Zugabe eines
unausführbaren Beschlußes verschaffen: Der Bischof solle sie führen, in
dessen Sprengel der König und so lange er in ihm sich aushielte-). Er selbst
blieb immer um Heinrichs IV Person und war dieser außerhalb der Kölner
Diöcese, so sorgte er, daß nur ihm ganz ergebne Leute ihn umgaben. Zwar
fand er sofort Widerspruch, als er nach Wilhelms von Meißen Tod die
Mark an dessen Bruder Otto vou Orlamünde übertrug. Denn Wilhelms
Stiefvater Dedi von der Lausitz hatte sich darauf Rechnung gemacht. Otto
von Baiern, der sich von Anno um den gehofften Lohn, die Teilnahme an
der Reichsregierung, gebracht sah, war zu seiner Unterstützung bereit und Erzb.
Sigfrid versagte Otto die Belehnung mit den Mainzer Besitzungen in Thü¬
ringen. Indes da der letzte durch des Orlamünders Versprechen nicht allein
selbst die Zehnten zu geben, sondern auch die übrigen Thüringer dazu zu
zwingen gewonnen ward, Dedi und Otto von Baiern aber den Bürgerkrieg
scheuten, so blieb Anno's Ansehn in Kraft und stieg bald noch höher, indem
er die Beziehungen zu Rom iu einen die Gefahr mindernden Gang, sich selbst
in Einvernehmen mit dem diesseit und jenseit der Alpen das meiste geltenden
Gottfrid dem Bärtigen brachte3). Jedoch der vor den Augen des jungen
Königs in Goslar (Pfingsten 1063) zu den blutigsten Thätlichkeiten aus¬
artende Rangstreit zwischen dem Bischof Wezilo von Hildesheim und dem Abt
1) Giesebr. III 77—80. Floto geht zwar zu weit, wenn er von der That zu Kai¬
serswerth alles Unglück der Folgezeit herleitet, aber das Gelingen des Attentats war
eine, nur mit Blut wiedergutzumachende Niederlage des Königtums, die Äußerung
jener über Pflicht und Eid" hinwegspringendcn Untreue, welche dem Papsttum den
Sieg über das Kaisertum verschaffte, der Grund zu jener Verbitterung, die Hein¬
rich IV unvorsichtige und falsche Schritte zu thnn trieb. Gegen den wider die Kaiserin
erhobnen Tadel halte ich fest, daß sie, wenn sie ihren Sohn befreien gewollt hätte,
in sich die Kraft dazu hätte besitzen mäßen. Die Fürsten mochten die Thäter haßen
und beneiden, der That selbst freuten sie sich. — 2) Floto I 250. 285. Giesebr. III
80. — 3) Giesebr. III 82 f. Sigbert von Gemblouvs erzählt gewis richtig, daß
Anno durch den jungen König schon, damals bei Agnes wieder Gunst gewonnen
habe, unb eben so gewis ist, daß damit sciircn Gegnern ein Angriffsmittel entzogen
war; indes von Thätigkcit der Kaiserin finden sich nicht hinlängliche Spuren und
eine volle Versöhnung tritt erst ans dein Concil zu Augsburg (Giesebr. Ml SG s.)
o" Tage.