Full text: Die Zeit von Karl dem Großen bis zu den Kreuzzügen (Bd. 2, Abth. 2)

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Rückblick. — Frankreich von 888 —1108. 
Organisation, mindestens mnste es zu einer solchen führen. Wie in Köln die 
Nighirzegheide eine geschloßne Familieneinheit mit Organen zur Vertretung 
der gemeinsamen Interessen hatte, so gab es ähnliches wol auch in andern 
Städten: der Ursprung der spätem Patrieiergeschlechte. Aber an und für sich 
waren die Schöffen und Schultheiße der Gerichtsversaßung zu solchen Organen 
geeignet vorhanden, und die Eristenz von solchen wird auch durch den im. 
ganzen Mittelalter geltenden Grundsatz, daß aller Verkehr am besten von den 
Verkehrtreibenden selbst geregelt und verwaltet werdet, als voraussehbar 
bewiesen. Von die Gerichtsbarkeit unb Verwaltung in der städtischen Bevöl¬ 
kerung führenden Stadträten ist keine sichre Spur zu finden. Das Element 
zu einer Neugestaltung des Staatslebens ist vorhanden, es bedarf erst noch 
der Entwicklung, aber es ist schon so weit gediehu, daß diese nicht ausbleiben 
kann. 
Frankreich von 888 — 1108. 
8 113. 
1. War von vornherein in Westfranken, als dem durch Eroberung dem 
Frankenreich unterworfnen Teil, die Zahl der Lehen viel größer gewesen, als 
in Ostfranken, so hatten die Kriege, welche unter Ludwigs des Frommen Nach¬ 
folgern unaufhörlich geführt wurden, sie vermehrt, die durch der Normannen 
Einfälle gesteigerte Not so viele zur Übernahme von Abhängigkeit veranlaßt, 
daß die Gemeinfreiheit schnell verschwand. Dadurch verwandelte sich das Reick 
in eine Reihe großer Lehnsterritorien2), deren Inhaber dem König nur dien¬ 
ten, wenn von ihm etwas zu gewinnen war, viel häufiger aber sich offen 
gegen ihn auflehnten. Je unbestiinmter das Lehnsrecht war, da die Verhält¬ 
nisse auf Persönlichkeit und Gewohnheit beruhten, und je beschränkter die 
Königsmacht, als allein auf Wahl der Großen beruhend, angesehen ward, 
um so häufiger wurden die Streitigkeiten, welche nur durch die Waffen 
geschlichtet werden konnten, und die Übergriffe in fremdes Besitztum und Recht. 
Die Kirche, aufs vollstäudigste in dieses Treiben hineingezogen, vermochte 
nichts gegen das Unwesen zu wirken. Die Geschichte der ersten Jahrhunderte 
ist sonach eine ununtcrbrochne Kette von Gewaltthaten — und dennoch sind 
schon die Keime und Elemente vorhanden, aus deneu ein beßrer Zustand, 
ein einheitliches Reich und ein mächtiges Königtum sich später entwickelt: 
1) Stammesbesonderheiten sind beseitigt oder werden schnell ausgeglichen. 
Mag auch eine dialektische Verschiedenheit zwischen den Nord- und Süd¬ 
franzosen bestehen^), mögen auch bei jenen trotziger Sinn, Kühnheit, Freude 
am Glanz und Verschwendungslust, bei diesen Weichheit, Empfiudungsglut 
Arbeitsamkeit und Geschäftsgewandtheit als charakteristische Eigenschaften 
hervortreten, mag auch im Süden das römische, im Norden ein aus dem 
Lehnswesen hervorgegangnes Recht (eoutmmes) allgemeine Geltung gewinnen, 
diese Unterschiede begründen keine trennende Scheidewand, keine Verschieden- 
1) Nitzsch Minist. S. 327. — 2) Das Herzogtum Francien zw. Seine und Loire, 
dem die Grafschaft Anjou zu beiden Seiten der Mayennc untergeordnet war, 
das Herzogtmn Aquitanien mit der Grafschaft Guienne vereinigt, die Graf¬ 
schaft Toulouse, das Herzogtmn Burgund, von Chalons an der Saone bis 
Chatillon arp der Seine, die Grafschaft Flandern, die Grafschaft Vermandois 
(Hanptort L>t Quentin), aus welcher die Grafschaft Champagne hervorgicng. 
Schmidt: Gesch. Frankreichs l 249—53. Vgl. übrigens Dümml. ir 60. — 3) Man 
bezeichnet sie gewöhnlich durch die Verschiedenheit der Bejahnngspartikel als langue 
d’oe des Südens, langiite d’oni des Nordens.
	        
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