Full text: Die Zeit von Karl dem Großen bis zu den Kreuzzügen (Bd. 2, Abth. 2)

Kulturgeschichtliches. 
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gegen Vergewaltigung vorhanden wäre. Die richtige Erkenntnis davon leitete 
die eifrigsten geistlichen Vertreter und Beförderer der inneren Reformen *), 
so wie die mit dem Christentum und der in ihm begründeten Sittlichkeit am 
ernstesten es meinenden Könige und Kaiser, dem Papsttum die äußeren und 
inneren Bedingungen zu schaffen, durch welche es die Einheit der Kirche 
gründen und eine mächtige kirchliche Wirksamkeit entfalten konnte. Freilich 
führte dann die Frage, welche im Verhältnis zwischen Papsttum und Kaiser¬ 
tum ungelöst geblieben war, zu jenem Kampf, aus welchem die Hierarchie 
als Resultat hervorgieng. Die Verhältnisse, welche zu diesem Sieg verhalfen, 
waren die verschiedenartigsten — auch die schlechten Gelüste und Treulosigkeit 
der weltlichen Großen, die Empörung der Niedern gegen die drückende Her¬ 
schaft, endlich die Eifersucht der Romanen gegen die Deutschen wurden in 
Bewegurg gesetzt — vor allem jedoch ist festzuhalten, wie er dadurch allein 
möglich ward, daß das Papsttum des in den Herzen lebendigen kirchlichen 
Zugs sich zu bemeistern verstand, und wie derselbe endlich vollständig ward, als 
von ihm der allgemeinen Kampfeslust der den Augen der dainaligeu Christen¬ 
heit als höchster und verdienstlichster vorschwebende Zweck gewiesen worden 
war. Die historische Größe Gregors VII ist § 109, 2 dargestellt, aber auch 
die erschreckende Seite seines Wesens und Wirkens nicht übergangen worden. 
An die Stelle Christi wird ein Priester gesetzt, der, wenn er auch das Bewust- 
sein der mit seinem Recht unzertrennbar ihm zugefalluen Pflicht sesthält und 
durch die Überlieferung und Verfaßung in der Kirche gebunden ist, doch immer 
Mensch bleibt und der ihm zugeschriebnen Unfehlbarkeit ermangelt, unb der 
Klerus wird so über alle andern Gläubigen erhoben^), daß, mochten auch die 
idealistischsten Forderungen als Bedingungen seiner Erhöhung mit Nachdruck 
geltend gemacht werden, doch der Hochmut an die Stelle der Demut gesetzt 
erscheint, wäreud das Cölibat ganz offenkundige Gefahren nicht abzuwehren 
im Stande ist. Unverkennbar ist, daß durch den Kampf für die Hierarchie 
eine sittliche Beßerung und eine Erhebung der Gemüter zu dem Ewigen 
bewirkt worden ift1 3), aber die in den Reformen nachgewiesnen Jrtümer 
werden durch den Sieg und das fortgesetzte Streben nach seiner Behauptung 
consequent befestigt. So wenig die folgerichtige Forderung, daß die Unab¬ 
hängigkeit des Klerus vom weltlichen Regiment durch die Verzichtleistung auf 
die von jenem erhaltne Ausstattung mit Verleihungen weltlichen Gutes zur 
Zweifellosigkeit gebracht werden mäßeH, bewilligt werden konnte, so gewis 
war die Gefahr der Verweltlichung von Haupt und Gliedern nicht abgewehrt, 
vielmehr durch die Notwendigkeit des Verbleibeils in weltlichen Verhältnissen 
und Verpflichtungen verstärkt, ja selbst die Oberherschaft der Kirche über alles 
weltliche beruhte, wenn sie auch eine notwendige und heilsame und deshalb 
von Gott zugelaßne Entwicklungsform war und nur erst von einzelnen 
Stimmen bestritten ward3), dennoch auf einer Verkennung ihres wahren 
Berufs, aus einer Verwechslung der ringenden irdischen mit der vollendeten 
himmlischen Kirche. War schon vorher die Bekehrung des Volks aus bcu 
Verpflichtungen des geistlichen Standes mehr unb mehr gestrichen, so ward 
von nun allmählich der Laie von eigner Erbauung unb vom Lesen der Heiligen 
Schrift grundsätzlich ausgeschloßen und der dafür angeführte Grund, daß Mis- 
achtung und Misbrauch verhütet werden müße, bedeutete nichts anderes als 
1) C.luguy wäre nicht geblieben, wenn cs sich nicht au das Papsttum ange- 
schloßen hätte. — 2) Die Behauptung Urbans II § 110, 7 a. E. S. 263. — 
3) S. 223 Anm. 6. — 4) 8 1U, 3 S. 276. — 5) Vgl. S. 265 Anm. 5. S. 237 
Anm. 3. S. 239 Anm. 3.
	        
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