Full text: Von der französischen Staatsumwälzung bis zur Gegenwart (H. 4)

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V. Das Zeitalter Kaiser Wilhelms I. 
Am wenigsten erwartete er Widerspruch von Frankreich, da er mit der 
Kaiserlichen Familie verwandt war.^) 
Trotzdem, und obschon Prinz Leopold der Fürstlichen Neben¬ 
linie und nicht der Königlichen Linie des Hauses Hohenzollern an¬ 
gehört, erklärte der französische Minister des Auswärtigen, Herzog von 
Gramont, Frankreich könne nicht dulden, daß eine fremde Macht, indem 
sie einen ihrer Prinzen auf den Thron Karls V. setze, das gegenwärtige 
Gleichgewicht Europas zu ihren Gunsten störe. Der Botschafter Frank¬ 
reichs, Graf Benedetti, verlangte von König Wilhelm, der zur Kur 
in Ems weilte, der König solle dem Prinzen befehlen, die spanische Krone 
abzulehnen. Er erhielt die Antwort, daß der König keinen Befehl zur 
Annahme gegeben habe und ebensowenig einen Befehl zur Ablehnung 
erteilen werde. Der Prinz sei vollständig frei in seinen Entschließungen. 
Auch wurde von preußischer Seite betout, daß das spanische Ministerium 
der preußischen Regierung keine Mitteilung über die Angelegenheit ge¬ 
macht, sondern die Verhandlungen direkt mit dem Prinzen Leopold ge¬ 
führt habe. Der spanische Gesandte in Paris bestätigte dies. 
Um dem Streit ein Ende zu machen, verzichtete Prinz Leopold auf 
die spanische Königskrone. 
Der französische Botschafter forderte jetzt im Aufträge seiner Re¬ 
gierung von König Wilhelm die schriftliche Versicherung, daß er nie¬ 
mals seine Einwilligung geben werde, wenn dem Prinzen Leopold etwa 
später noch einmal die spanische Königskrone angeboten werden sollte. 
Der Minister von Gramont wünschte ein Schreiben König Wilhelms an 
Napoleon, daß er den Interessen und der Würde der französischen Nation 
nicht habe zunahe treten wollen; er schließe sich der Thronentsagung 
an mit dem Wunsche, daß jeder Grund des Zwiespaltes zwischen beiden 
Regierungen nunmehr verschwinden werde. Das französische Ministerium 
bedürfe eines solchen Schreibens zur Beschwichtigung des aufge¬ 
regten Volkes. Doch möchten darin die verwandtschaftlichen Beziehungen 
des Prinzen Leopold zu Napoleon nicht berührt werden. 
Der König lehnte diese Zumutungen ab. Als Benedetti auf Weisung 
seiner Regierung die den König verletzende Forderung wiederholte, ver¬ 
weigerte ihm der König die Audienz und verwies ihn an das Ministerium 
der Auswärtigen Angelegenheiten. Das sah die französische Regierung als 
Beleidigung an und berief den Botschafter ab. Am 14. Juli 1870 kehrte 
er nach Paris zurück; des Königs Wohlwollen gab ihm noch Gelegenheit, 
l) Sein Vater Karl Anton, derselbe, der 1849 sein Land an Preußen abgetreten 
hatte, war der Sohn von Antoinette Mn rat, einer Nichte Joachim Murats, der 
Napoleons I. jüngste Schwester Karoline 'geheiratet hatte. Des Prinzen Mutter 
Joseph in evonBaden war eine Tochter der Großherzogin Stephanie von Baden 
und diese eine Tochter von Claude Beauharnais, einem Neffen jenes Vicomte de Beau- 
harnais, der der erste Gemahl der Kaiserin Joseph ine von Frankreich gewesen war.
	        
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