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geworden, der Leuchter des Evangeliums vom Altar verschwunden; Finsterniß
deckte das Erdreich und DunkelMe Völker.
Da fand die Kunde von den großen Thaten des Augustinermönchs in
Wittenberg ihren Weg nach Norden. Schon im Jahre 1519 kamen Stu¬
denten, welche die Universität in Wittenberg besucht hatten, in die Heimath
zurück und brachten von dort den Samen des göttlichen Wortes, das ihnen
Luther und seine Freunde ausgelegt hatten, zurück. Die ersten Strahlen
des wiedergewonnenen Lichtes leuchteten in die Nacht hinein, welche auch
unser Ländchen bedeckte, und verkündigte den Anbruch des neuen Tages.
Der erste Prediger, welcher dem Papstthum öffentlich zu widersprechen
und den evangelischen Glauben frei zu predigen wagte,'war Hermann Tast
in Husum, der an Diedrich Becker einen treuen Gehülfen fand. Kirche
und Kanzel wurden diesen Zeugen der Wahrheit freilich sogleich von den
Papisten verschlossen; sie ließen sich aber dadurch nicht irre machen. Her¬
mann Tast predigte fortan in dem Hinterhause eines frommen Husumer
Bürgers, Matthias Knutzen mit Namen, und als das Haus zu enge
wurde, hielt er unter einer Linde aus dem Kirchhofe Gottesdienst.
In Meldorf hatten der-dortige Pastor Nikolaus Boje und eine
ebendaselbst wohnende Wittwe, Wiebke Junge, geb. Nanne, das Wort
Gottes liebgewonnen. Als sie nun hörten, daß ein Augustinermönch,
Heinrich Müller aus Zütphen, gewöhnlich kurzweg Heinrich von
Zütphen genannt, in Bremen das reine Evangelium mit großer Kraft und
Liebe predige, so wußten sie es durchzusetzen, daß die Meldorfer, welche das
Recht hatten, ihre Prediger selbst zu wählen, diesen Mann einluden, er möge
kommen und den Grund der evangelischen Lehre bei ihnen legen Helsen.
Heinrich von Zütphen war 1488 in den Niederlanden geboren.
In feinen jüngern Jahren trat er, wie Luther, in ein Augustinerkloster und
wurde um seiner Frömmigkeit und Gelehrsamkeit willen schon 1520 zum
Prior gewählt. Er hatte sich mit den Schriften des Kirchenvaters Augustin
fleißig beschäftigt und war dadurch schon mit der evangelischen Wahrheit be¬
kannt geworden. Darum hatte er von Anfang an ein offenes Ohr und Herz
für Luthers Wort und gehörte zu denen, welche zuerst dem Manne Gottes
zufielen. Er ging im Jahre 1521 selbst nach Wittenberg und kam dort an,
als Luther eben zum Reichstag nach Worms abgereist war. Die Kunde von
Luthers freiem, kühnem Bekenntniß vor Kaiser und Reich lief durchs Land
und bewegte die Herzen; auch Heinrich von Zütphen wurde durch das
freudige Bekenntniß des Reformators in seinem Glauben befestigt. Da
Luther auf der Rückreise von Worms im Thüringer Walde plötzlich ver¬
schwand und daher nicht gleich nach Wittenberg zurückkam, so konnte Heinrich
den großen Mann nicht persönlich kennen lernen. Aber mit Melanchthon
ward er bekannt, und dieser empfahl ihn brieflich an Luther als einen vor¬
trefflichen Mann von Verstand, Gelehrsamkeit und Gottesfurcht.
Von Wittenberg ging Heinrich nach Antwerpen, wo er eine Schaar
evangelischer Klosterbrüder um sich sammelte und eifrig wirkte. Die nächste
Folge seiner segensreichen Wirksamkeit war eine Verfolgung, die gegen ihn
und seine Anhänger losbrach. Viele fielen während derselben wieder ab,
Einige starben um des Evangeliums willen in Brüssel, und auch Heinrich
wurde ins Gefängnis; geworfen. Aber Kaufleute aus Bremen, welche eben