90 
Geschichte der alten Welt. 
bürgerlichen Einrichtungen des erstem wird darum doch nicht geleugnet werden 
können. Die Naturreligion der Pelasger, die erbliche Scheidung der Stande in 
Attika (in vier Phylen), die Trümmer uralter Bauwerke u. A. m. bestätigen die 
Angaben der alten Schriftsteller von einer Verwandtschaft zwischen dem Orient 
und dem ältesten Griechenland und von einem ähnlichen Culturgang der morgen- 
ländischen und pelasgischen Völker; möglich, daß einst die Pelasger bei ihrer 
wahrscheinlichen Uebersiedelung aus Asien nach Europa diese Eultur im Keime 
mitgebracht und ihr eine naturgemäße Entwickelung gegeben haben — aber aus 
dem Umstand, daß die spätem Einrichtungen, religiösen Anschauungen und künst¬ 
lerischen Richtungen der Griechen keine Ähnlichkeit mit dem Oriente darbieten, 
kann der morgenländische Einfluß auf die pelasgische Urzeit nicht bestritten werden, 
da die Hellenen bei Bewältigung des griechischen Landes dieses pelasgische Wesen 
verdrängt oder umgestaltet und veredelt haben mögen; und in dieser Umgestaltung 
und Veredlung beurkundet sich die höhere Natur und die größere geistige Anlage der 
Hellenen. „So wenig wir also die Originalität des griechischen Volkes bis zu 
gänzlicher Unabhängigkeit von ausländischen Einflüssen steigern dürfen, so gewiß 
ist es auf der andern Seite, daß dasselbe alles von Außen Empfangene vervoll¬ 
kommnet und ihm den Stempel eines Geistes ausgeprägt hat, der auch der fort¬ 
geschrittensten Technik des barbarischen Alterthums stets fremd geblieben ist." 
Kekrops, aus dessen Geschlecht die ältesten Könige Athens ihren Ursprung ableiteten, 
sollte aus dem ägyptischen Sais (Neith-Athene §. 14.) eingewandert und den Athenern 
die Keime der Gesittung und die Einrichtung der Ehe gebracht haben. Die Sagen von 
Kadmos, dem Gründer der Burg K a d m e i a zu Theben in B ö o t i e n (Kuhland), wohin 
er kam als er seine von Zeus entführte Schwester Europa auf Geheiß seines Vaters Age- 
nor suchte, sind ganz fabelhaft; aus den von ihm gesäeten Drachcnzähnen sollten die 
Stammväter der fünf berühmtesten Geschlechter Thebens entstanden sein. In dem Mythos 
von Dauaos und seinen 50 Töchtern (Danaiden), die zur Strafe, weil sie (mit Aus¬ 
nahme einer einzigen, der Hypermnestra) ihre Bräutigame in der Brautnacht ermordet, in 
der Unterwelt Wasser in ein durchlöchertes Faß schöpfen mußten, hat man eine Beziehung 
auf die Bewässerung des trockenen Landes in Argalis finden wollen. Pelops, der Sohn 
des götterverhaßten Tantälos erlangte durch Trug und Mord die Hand der Königstochter 
Hippodameia und die Herrschaft von Pisa in Elis, die er dann über den größten Theil der 
Halbinsel ausdehnte; seine Nachkommen (P el opi d en, Atreiden §. 12.) erbten von ihm 
und seinem Vater den hochstrebenden vermessenen Sinn, der sie zu den in den Dichtungen 
der Griechen so vielfach behandelten Frevelthaten und Wagnissen trieb. 
2. Das mythische Heroenalter der Hellenen. 
§. 54. Hellenische Stämme. Herakles (Hercules) und 
Theseus. An die Stelle des pelasgischen Urvolks traten später die streit¬ 
baren Hellenen mit ihrem ritterlichen Heldenthum. Da man von deren Ab¬ 
stammung und Ankunft nichts Sicheres weiß, so haben Manche vermuthet, 
daß sie kein besonderer Volksstamm gewesen, sondern der kriegerische Theil 
der Pelasger selbst, und daß somit der hellenische Ritterstand die pelas¬ 
gische Priesterherrschaft gestürzt und das friedfertige Volk unterjocht habe, 
doch so, daß beide bald mit einander verschmolzen seien. „Diese Verschmelzung 
ging um so leichter von Statten, da Beide nahe verwandte Zweige eines und 
desselben Vblkerastes, eines uralten griechischen Gesammtvolkes waren, und
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.