fullscreen: Viertes, fünftes und sechstes Schuljahr (Teil 2)

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Es nahm sich prächtig aus, als es fertig dastand, aber o wehe! es 
war stockfinster darin; denn die klugen Bauleute hatten die Fenster 
vergessen. Die Schildbürger in ihrer großen Weisheit errieten aber 
nicht, warum es drinnen so finster sei, und soviel sie auch darüber 
beraten mochten, sie konnten die Ursache nicht finden. Mit brennen¬ 
den Kienspänen an den Mützen saßen die weisen Herren in dem dunkeln 
Hause und zerbrachen sich die Köpfe, wie dem Übel abzuhelfen wäre. 
„Ich hab's! Ich hab's!" schrie plötzlich ein Schlaukopf. „Bede!" riefen 
die andern. „Können wir das Wasser nicht in Schläuche füllen — 
warum denn nicht auch das Licht?" Lauter Jubel unterbrach den 
Redner, und der weise Rat beschloß, die gesamte Bürgerschaft mit 
Säcken, Körben, Fässern und Schürzen nach dem Rathause zu ent¬ 
bieten, um das Licht ins Haus zu tragen. Da sah man denn Männer, 
Weiber und Kinder in allerlei Schläuche und Behälter das Licht ein¬ 
sangen und wie toll damit ins Rathaus stürzen. Einige banden es 
in Säcke, andre füllten Körbe und Kessel, und die Frauen und Mäd¬ 
chen häuften es in die Schürzen. Es war ein Laufen und Rennen, ein 
Getümmel und Gewimmel wie in einem Ameisenhaufen. Aber was 
half's? Umsonst mühten sich die fleißigen Leutchen, und endlich ließ 
der Bürgermeister die unnütze Arbeit abbrechen. Ratlos standen nun 
die armen Schildbürger auf der Straße und wußten nicht, was be¬ 
ginnen. Da kam ein Fremder des Weges daher, dem klagten sie 
ihre Not. 
„Es ist ein schwieriges Werk," sagte der schlaue Vogel und kraute 
sich hinter dem Ohre, „ein äußerst schwieriges Werk; doch könnte 
ich’s wohl zustande bringen, so ihr mir einen guten Lohn gebet." 
„Fordere ¡"antwortete der Bürgermeister, „soviel in unsern Kräften 
steht, sollst du erhalten!" 
Der Fremde verlangte hundert Goldgulden, und sogleich wurden 
sie ihm zugesprochen. Nun gab er ihnen den Rat, das Dach an 
mehreren Stellen abzuheben, und siehe da! das Licht strömte in das 
Haus, und die Schildbürger waren außer sich vor Freude und zahlten 
mit vielen Danksagungen dem Fremden tausend Goldgulden. Bald 
aber sollten sie mit Schrecken gewahr werden, daß sie geprellt waren. 
Es regnete den weisen Ratsherren auf die kahlen Köpfe und in die 
Akten, und sie waren gezwungen, die Lücken im Dache wieder zuzu¬ 
decken. Nun saßen sie in Not wie zuvor, und wieder erschienen 
sie mit den flackernden Kienspänen an den Mützen zur Ratsversamm¬ 
lung. Da geschah es, daß einem der Herren sein Span erlosch und er 
tastend an der Wand des Hauses entlang schlich, um den Ausgang 
zu gewinnen. Durch eine Ritze in der Wand schimmerte ein Licht¬ 
strahl von außen herein. Fast wäre vor freudiger Überraschung der
	        
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