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Das Mittelalter.
28. Jan.
1256.
Italien. Die ganze abendländische Dichtung und Weisheit concentrirte
sich im 13. und 14. Jahrhundert in Italien, wo Fürsten, Prälaten, Starte
und reiche Familien in Beförderung und Pflege der Künste und Wissenschaften
und ihrer Träger mit einander wetteiferten, wo das entwickelte kirchliche und bür¬
gerliche Leben Musik und Baukunst hervorrief und alles das beförderte, was mit
den Gewerben der Schifffahrt, dem Handel, der Politik und den diplomatischen
Künsten in Verbindung stand, wo an den berühmten Universitäten zu Bologna
und Padua die tiefsinnigsten Theologen, die gelehrtesten Juristen (Glossatoren
§. 314.), die scharfsinnigsten Grammatiker, die genauesten Mathematiker und
Naturforscher lehrten, wo aller Glanz, alle Cultur, alle geistige Regsamkeit der
mittelalterlichen Welt sich beisammen fand. Der wahre Repräsentant dieser ita¬
lienischen Bildung ist D an t e, in dem die ganze Weisheit und Poesie des Abend¬
landes wie in einem Brennpunkte vereinigt ist (§. 351). Seine Vorgänger in
einheimischer D i ch tkun st waren der patriotische Mantuaner S o r d e l l o, der
Florentiner G u i do Gu in i c e lli, der Sänger idealer Liebe, Guido Caval-
canti u.A.; sein Lehrer in allen Wissenschaften war Brunetto Latini, der
bald in Florenz bald in Paris Vortrage hielt und seine ganze Weisheit über
Geschichte, Erd-und Himmelskunde, Naturwissenschaften, Theologie, Philo¬
sophie, Redekunst u. a. in einer großen Encyclopädie, Schatz genannt, zusam¬
menfaßte. Die volksthümliche Geschichtschreibung in der Landessprache begann
der Florentiner R i c ord an o M ale sp in i (tz. 343.) in einer mit vielen unter¬
haltenden Mährchen ausgeschmückten Geschichte seiner Vaterstadt bis zu seinem
Todesjahr 1281. Er war der Vorgänger von Johann Villani (§. 351).
V. Verfall der Lehnsmonarchie und Entartung der
Kirche.
1. Das Zwischenreich (Interregnum) 1250—1273.
§. 344. Nach dem Tode Friedrichs II. trat für Deutschland eine ver-
hängnißvolle Zeit ein. Auswärtige Fürsten ohne Macht und Einfluß führten
den Kaisertitel, indeß im Innern Anarchie und Gesetzlosigkeit waltete und
nur der Starke sich Recht zu schaffen vermochte (Faustrecht). Als Wil¬
helm von Holland (§. 328.) im Kampfe wider die tapfern in demokra¬
tischen Gemeinwesen lebenden Friesen auf den gefrornen Untiefen gefallen
war, lenkte der Erzbischof v on Köln die Wahl auf den reichen Richard
von Cornwallis, den Bruder des Königs von England, während der
Erzbischof von Trier und sein Anhang Alphons X. den Weisen von
Caftilien, einen Verwandten des Hohenstausischen Herrscherhauses, mit dem
Kaisertitel zierten. Jener fuhr einigemal mit Schätzen beladen den Rhein
herauf, um die Habgier der Fürsten, die ihn „um seines Geldes willen" ge¬
wählt, zu befriedigen; der letztere besuchte nie das Reich, zu dessen Herr¬
schaft er berufen war. Während dieser kaiserlosen Zeit suchten herrschsüchtigc
Fürsten und Bischöfe ihre Besitzungen und Rechte zu erweitern, theils durch
Befehdung und Unterdrückung minder mächtiger Edlen, theils durch Be-