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Das französische Kaiserreich. 
ters hinzuhalten suche, damit die Kalte die schlecht gekleideten und am Noth- 
dürftigften Mangel leidenden Soldaten auf dem Heimweg vernichte. Er 
erreichte seinen Zweck. Ende October wurde der verhängnißvolle Rückzug 
angetreten, der in der Geschichte der Kriegsleiden seines Gleichen nicht hat. 
Der anfängliche Plan, gen Kaluga zu ziehen, wurde nach der entsetzlichen 
Schlacht von Malo-Jaroslavetz aufgegeben, und der Weg über das 24- 
mit Leichen und Blut bedeckte Schlachtfeld von Borodino nach Smolensk 
eingeschlagen. Im November stieg die Kälte bereits auf 18 Grad und er¬ 
reichte später 27. Wer vermochte alle Leiden, Kämpfe und Mühseligkeiten 
zu schildern, durch welche die großeArmee in dem strengen Winter allmählich 
aufgerieben wurde? Hunger, Frost und Ermattung richteten größere Ver¬ 
heerungen an als die Kugeln der Russen und die Lanzen der Kosaken. Es 
war ein Anblick zum Entsetzen, Tausende von verhungerten oder erfrornen 
Kriegern an der Heerstraße und auf den öden, grausigen, mit Schnee und 
Glatteis überdeckten Steppen, abwechselnd mit gefallenen Pferden, wegge¬ 
worfenen Waffen und Trümmern aller Art und den reichsten, nun zur Last 
gewordenen Beutestücken liegen zu sehen! — Kutusoff, der in einer Procla- 
mation den Brand von Moskau den Franzosen zuschrieb, um das Volk noch 
mehr zum Haß gegen dieselben zu entstammen, wich mit seinen durch Pelz¬ 
mantel wider Sturm und Kälte geschützten Truppen den Feinden nicht von 
der Seite und zwang sie jeden Schritt zu erkämpfen. Als um die Mitte No¬ 
vembers Smolensk erreicht wurde, zählte das Heer noch etwa 40,000 streit¬ 
bare Soldaten; über 30,000 wehrlose Nachzügler folgten ohne Zucht, Ord¬ 
nung und Führung den Spuren der Vorangegangenen, ein Bild des Jam¬ 
mers und Entfetzens. Und doch begann das größte Elend erst hier, weil 
durch fehlerhafte Anordnung die erwartete Zufuhr von Waffen, Kleidern und 
Lebensmitteln sich in Smolensk nicht vorfand und die durch neue Truppen 
verstärkten Russen den Ziehenden überall den Weg verlegten. Die größten 
Heldenthaten, die unter Napoleons Augen von Eugen, Davouft, Mürat, 
Oudinot, Victor u. A. vollführt wurden, hatten keinen weitern Erfolg, als 
daß sie den Untergang des ganzen Heeres um wenige Tage hinausschoben. 
Der Held des Rückzugs war Ney, der Führer der Nachhut, „der Tapferste 
der Tapfern." Sein Uebergang über den gefrornen, aber an beiden Ufern 
aufgethauten und von den Russen bewachten Dnepr zur Nachtzeit war eine 
der kühnsten Waffenthaten, deren die Weltgeschichte gedenkt. Freilich konnte 
er von 6000 Mann nur 2000 zu dem Heere führen, das unterdessen bei 
Krasnoi den Feind zurückgeschlagen und sich den Weg zur B er esin a frei 
gemacht hatte. An diesen ewig denkwürdigen Fluß gelangte das Heer am 
25. November. Im Angesicht der feindlichen Armee wurden zwei Brücken 
geschlagen, und der kleine Rest, der sich noch in Reih' und Glied bewegte, 
unter unzähligen Gefahren hinübergeführt, aber gegen 18,000 Nachzügler, 
die nicht zeitig genug ankamen, sielen in die Hände der Feinde und mit ihnen
	        
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