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Altdeutsche Dichtung. 
Herz von Tristan, der in ihrer Nähe bleibt, abzuwenden, sondern nimmt zu List, Betrug, Lüge und Meineid 
ihre Zuflucht, um hinter Marke's Rücken ihr LiebeSverhältniß mitTristan fortzusetzen, bis der betrogene 
Gatte, der Isolden innig liebt, die Wahrheit ahnt und beide von stch stößt. Aber dadurch bewirkt er nur 
ihr Glück. In einem Walde finden sie eine Höhle, die sie zu ihrem Wohnorte wählen und nun ganz sich 
und ihrer Liebe leben, über der sie Alles, selbst die Nahrung vergessen, ein Zustand, der von dem Dichter 
mit bezaubernder Kunst, Zartheit und Lieblichkeit beschrieben ist. Marke, von Liebe gequält, sucht sic 
endlich wieder auf und aufs Neue durch Versicherungen von Isoldens Treue getäuscht, führt er beide an 
seinen Hof zurück, wo sie jedoch ihr früheres Verhältniß fortsetzen. Als Marke zuletzt nicht mehr 
hintergangcn werden kann, verläßt Tristan den Hof und lernt nach einiger Zeit eine andere Isolde 
kennen, welche allmählich die erstere aus seinem Herzen verdrängt, so sehr er es sich auch durch Selbst¬ 
täuschung zu verbergen sucht. Hier bricht das Gedicht ab, in dessen Natur es liegt, unvollendet zu 
bleiben, ob es gleich nach Gottfrieds Tod zwei Fortsetzer (Freiber g und Türheim) gefunden hat, 
welche die weitern Schicksale der Liebenden bis zu ihrem Tode erzählen. Marke, der jetzt erst die Ursache 
ihrer Liebe erfährt, läßt sie begraben und einen Rosenstrauch und eine Weinrebe auf ihr Grab pflanzen. 
Auch die neue Bearbeitung dieser alten Liebessage von Immermann blieb unbeendigt. Für die 
Erkcnntniß jener Zeit der Minne ist dieses in Form vollendete und im Ausmalen und Schildern der 
Zustände eines auf Sinnlichkeit gegründeten Seelen- und Gefühlslebens unerreichte Gedicht höchst 
wichtig. Seitdem ist die Geschlechtsliebe, wo nicht das Centrum, so doch ein „Stern" der Dichtung 
geblieben. 
II. Verfall der epischen Ritterdichtung. 
Z. Gottfrieds Schule. 
§. 21. In Go ttfried und Wolfram erreichte das Ritterepos seine höchste 
Stufe; und da in der nächsten Zeit keine neue Bahn eingeschlagen wurde, sondern die 
schon bekannten Stoffe eine nochmalige Bearbeitung, Erweiterung und Fortsetzung er¬ 
fuhren, so konnte sich die Dichtung nicht lange auf dem Höhepunkt erhalten, wenn gleich 
die hohe Vollendung beider noch eine Nachblüthe hcrvorbrachte« Die epischen Dichter 
des 13. Iahrh. nahmen größtcnthcils Gottfrieds Manier an, dessen heiterer Weltsinn, 
sinnliche Lüsternheit und leichte Moral, verbunden mit der Schönheit der Form und 
der Klarheit der Behandlung, der Zeit mehr zusagte als der feierliche Ernst des Par- 
zival. Je mehr in der Wirklichkeit der religiöse Rittersinn der Kreuzfahrer einem wil¬ 
den Raub- und Fehdcwesen wich, je mehr der Frauendienst von seiner ursprünglichen 
Unschuld und Reinheit sich entfernte und ins Gemeine und Frivole ausartete, desto mehr 
Gefallen fand man an den üppigen Schilderungen und dem leichtfertigen Tone, den 
Gottfried mit Talent und Takt angestimmt, den aber seine Nachahmer übertrieben. An 
Zierlichkeit und Glätte in der Form, an Reimfcrtigkeit und Sprachgewandtheit bleibt 
Gottfrieds Schule ausgezeichnet; aber das Festhalten bei den alten Stoffen und Sa¬ 
genkreisen (Al exa nd er sage von R u d. v o n H o henem s; tr o j an i sch er Krieg von 
Konrad von Würzb urg, ff 1287), die man nur durch Erweiterung und Aufhäufung 
alles Bekannten, durch Ausmalen einzelner Situationen und durch Verweilen beim 
Schlüpfrigen und Sentimentalen neu und interessant zu machen hoffte, beweist sowohl 
die Armuth der Dichter im Erfinden und Schaffen, als den Mangel sittlichen Ernstes und 
männlicher Charakterfestigkeit. Alles war auf Unterhaltung und Zeitvertreib abgesehen. — 
Neben der Innern Entartung des Ritterthums machte sich eine äußere Frömmigkeit be¬ 
merkbar, die sich in Werkheiligkeit und übertriebener Verehrung der Gottesmutter und 
der Heiligen kund gibt. Diese Richtung, die von der religiösen Weihe der Kreuzzüge weit 
entfernt ist, führt im 13. Iahrh. die Ritter auf die früher von den Geistlichen behandelten 
Legenden und Heiligengeschichten, wobei sic gleichfalls nur sammelnd, erwei¬ 
ternd und ergänzend zu Werke gingen, wenn gleich einigen dieser Rittcrlegendcn (z. B. 
dem „h e i l. G e or g" von Rein bot, c. 1250, dem „heil. Alexiu s" und der „g o l- 
d en en S ch m i e d e" K o n ra d s v on W ür zb u r g, einer Verherrlichung der „Himmels¬
	        
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