XVI. §. 6. Sieg der Kirche und dessen Folgen. 261
und wenn er es jemals that, so geschah es doch nur erst kurz vor
seinem Tode, wo er auch erst die Taufe empfing (337).
Von der Hand ihrer Feinde, die schwer auf ihr gelegen hatte, war
also die christliche Kirche durch die neue Wendung der Dinge befreit,
um sofort wieder unter das schwerere Joch ihrer Freunde zu gerathen.
Denn die offene Feindschaft der heidnischen Kaiser mit ihren Fol¬
terwerkzeugen, Richtschwertern und Scheiterhaufen, mit ihren reißenden
Thieren, glühenden Stühlen, Bratrost und siedendem Pech förderten
doch nur, wenn auch sehr gegen ihren Willen, die geistliche Gesund¬
heit der Gemeinden. Die Willkürherrschaft der christlichen Kaiser
aber, die je länger je mehr sich die unbefugtesten Eingriffe in das in¬
nerste Heiligthum des christlichen Glaubens und Lebens erlaubten, ver¬
giftete unter täuschenden Gunstbezeugungen das Mark der Gemeinden
und ging bewußt oder unbewußt darauf aus, Christi Diener zu Für¬
stendienern zu machen. Somit hatte der Kampf des Lichts gegen die
Finsterniß keineswegs seine Endschaft erreicht, sondern nur eine an¬
dere Gestalt angenommen. Es blieb nach wie vor eine kleine Schaar
von auserwählten Gotteskindern, jetzt zwar nicht mehr umringt
von blutdürstigen Heiden, aber wohl von ungläubigen und un¬
geistlichen Getauften, von despotischen Machthabern und irdisch ge¬
sinnten Priestern und Bischöfen, und der Sauerteig der Wahrheit
mußte fort und fort sich durcharbeiten durch eine wüste Masse ge¬
schmacklosen Mehls, um es mit der siegenden Kraft des Glaubens und
der Liebe zu durchsäuern. Und man konnte es spüren, daß solche
durchsäuernde Kraft im römischen Reiche wirksam sei. Die heidnische
Schamlosigkeit und Unsittlichkeit wagte nicht mehr ihre freche Stirn
öffentlich zu erheben. Man beugte sich vor der christlichen Tugend,
Treue, Keuschheit und Demuth. Die rohe heidnische Gefühllosigkeit
lernte sich schämen vor dem anspruchlosen Eifer christlicher Barmherzig¬
keit. Wohlthätigkeitsanstalten wurden errichtet, für Verlassene, für
Kranke, für Wittwen und Waisen wurde gesorgt; die heidnische Skla¬
verei wurde, wenn auch nicht aufgehoben, doch nach den Grundsätzen
christlicher Bruderliebe gemildert. Das Familienleben wurde ein ande¬
res; die Vielweiberei, wo sie noch herrschte, mußte aufhören; die Väter
entsagten ihrer mißbräuchlichen Gewalt über ihre Kinder, und die Kin¬
der lernten kindlichen Gehorsam gegen ihre Eltern. Bis in die Ge¬
fängnisse der Verbrecher, bis in die wildesten Schlachten hinein erstreckte
sich der mildernde versöhnende Einfluß evangelischer Lehre und christ¬
lichen Beispiels. Während unter immer erneuten furchtbaren Schlägen
von außen her die äußere Form des römischen Staats allmälig zu
Grunde ging, erstarkte innerlich das kirchliche Bewußtsein und das Ge¬
fühl der Zusammengehörigkeit unter den Getauften, und jeder Zusam¬
menstoß mit den rohen heidnischen Barbaren, die von Norden und
Osten hereindrangen, überzeugte die Kinder Gottes, daß immer noch
ein unendlicher Abstand sei zwischen jenen in Finsterniß und Rohheit
verlornen Heidenvölkern und den wenn auch ungläubigen und unbußfer¬
tigen Gliedern der christlichen Kirche.