Full text: Leitfaden der Weltgeschichte für die höheren Classen evangelischer Gymnasien und Realschulen, sowie zum Privatgebrauch für Lehrer und für Gebildete überhaupt

346 XIX. §. 12. Ruhm und Herrlichkeit Karl's des Großen. 
stand der Menschen zum Segen und zur Förderung Seines Reiches zu 
wenden weiß. Unter der majestätischen und gnädigen Leitung unseres 
Herrn ist somit auch die aus sündigem Ursprung hervorgegangene und 
mit viel Sünde und Fluch beladene Papstkirche dennoch eine Heilsan¬ 
stalt geblieben und geworden nicht bloß für die einzelnen Seelen, die 
nach Gnade verlangten und auch aus dem unreinen Behälter der 
päpstlichen Kirche heraus noch Gnadenkräste und Heil und Segen vom 
Herrn empfingen, sondern auch für die gesammten Völker des Mittel¬ 
alters ist sie, wie einst das Gesetz in Israel, eine Vermittlung und 
Vorbereitung geworden für den später hereinbrechenden hellen Schein 
des lautern Evangeliums. Denn es waren im mittelalterlichen Eu¬ 
ropa ähnliche Zustände und Verhältnisse wiedergekehrt wie einst in 
Canaan, und so mußte auch das Reich Christi eine ähnliche Form 
und Gestalt annehmen, wie vormals die alttestamentliche Theo¬ 
kratie. Es ward eine Gesetzesanstalt mit durchgreifender Zucht und 
strenger Forderung unbedingten Gehorsams, während das süße Wort 
der evangelischen Freudenbotschaft mehr und mehr in den Hintergrund 
trat. Die germanischen Völker mußten wie einst Israel zum Vollge¬ 
nuß der Freiheit der Kinder Gottes erst durch gesetzlichen Zwang er¬ 
zogen werden. Auch darum werden sie mit Recht genannt das 
n e u t e st a m e n t l i ch e Israel. 
§. 12. Ruhm und Herrlichkeit Karl's des Großen. 
Wiewohl wir in diesem Abschnitt eigentlich nur die Verdienste 
Karl'S um die Ausbreitung des Christenthums und die Befesti¬ 
gung der katholischen Kirche in's Auge zu fassen haben, so können 
wir doch von einer solchen Persönlichkeit unmöglich Abschied nehmen, 
ohne uns seine großartige Heldengestalt noch einmal in dankbarer Ver¬ 
ehrung angesehen zu haben. Wir müßten ja keine Deutsche sein, 
wenn wir nicht diesem Größten aller Deutschen unsere besondere Hul¬ 
digung bringen wollten. Denn ein Deutscher war er durch und 
durch. Obwohl meist in welscher Umgebung sich bewegend, bewahrte 
er doch die ganze Einfachheit, Geradheit, Sittenstrenge, Treue und 
Biederkeit des deutschen Charakters. Prunklos in seiner Erscheinung 
wie in seinem Hauswesen, ließ er nicht leicht eine Gelegenheit vor¬ 
übergehen, ohne die anspruchsvolle Eitelkeit und Weichlichkeit seiner 
Dienstmannen, besonders des jüngern Geschlechts zu strafen. Er war 
ein Deutscher, er war, was mehr sagen will, ein deutscher Christ. 
Voll so warmer, tiefer, ungeheuchelter Frömmigkeit, voll so ernsten 
Strebens nach Gerechtigkeit, voll so glühenden Eifers, das Reich 
Gottes zu fördern, daß die katholische Kirche ihn nach ihrer voreiligen 
Weise unter die Heiligen versetzt hat. Wie viel er gethan hat zur 
Ausbreitung des Christenthums, wie viel Bischofssitze, wie viele Kir¬ 
chen, Klöster, Schulen er gegründet, haben wir zum Theil gesehen;
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.