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IH. §. 3. Das heidnische Kastenwesen.
§. 3. Das heidnische Kastenwesen.
Der Grund, weshalb Jacob's Familie gerade in Aegypten sich
unvermischt mit dem Volk des Landes erhalten und zu einem
selbständigen Volk entwickeln konnte, lag hauptsächlich in einer Ein¬
richtung, welche alle hamitischen Kulturvölker mit einander gemein
haben, und auch dann bewahren, wenn sie mit semitischen oder
japhetitischen Bestandtheilen sich gemischt haben. Das war das Ka¬
stenwesen. Die Kasteneintheilung ist ein höchst merkwürdiges Er-
zeugniß des selbstsüchtig, mißtrauisch und trotzig sich abschließenden
Charakters des hamitischen Geschlechts in allen Landen. Mögen wir
auf die wilden schwarzen Stämme Afrikas und Australiens, oder
auf die Reste der etwas vorgerückteren Urbewohner des südlichen
Asiens, oder auf die biblischen Zeugnisse über die vielgespaltenen
Volksstämme der Cananiter, oder auf die Geschichte der Stammes¬
eifersüchteleien und Kämpfe in den Eufratländern blicken: nirgend
finden wir ein Zusammenfließcn vieler einzelner Bächlein oder
Stämme zum breiten vollen Strom einer großen Volksgemeinschaft,
sondern umgekehrt ein Zertheilen des Stromes der Bevölkerung in
eine Menge kleiner Arme und Windungen, welche sich fliehen oder
sich befehden. Jndeß nicht immer läßt die Landesnatur oder die
sonstige Umgebung oder der Drang der Zeit solch rücksichtslose
Zersplitterung in vereinzelte Stämme zu. Es muß hier und da,
vor allen Dingen auf den großen Oasengebieten des Wüftenlandes
zu einem Zusammenwohnen, zu einem Culturleben, zu einem geord¬
neten Staatsleben kommen. Da treten dann die Kastenordnungen
hervor. Ein jeder Einzelstamm schließt sich mit dem ihm eignenden
Beruf oder Gewerbe, Geschicklichkeit, Machtstellung und Einfluß von
den übrigen mit in den Staatsverband aufgenommenen Stämmen ab,
umbaut sich mit besonderen religiösen Dichtungen und Vorschriften,
und verschanzt sich gegen das Eindringen etwelcher fremder Bestand-
theile durch schrcckbare Flüche und Drohung peinvoller Strafen. Ein
Stamm (eine Kaste) hat selbstredend das Uebergewicht und die Herr¬
schaft über alle übrigen, und es dient nickt wenig zur Befestigung
der Herrschaft und zur Aufrechthaltung der staatlichen Ordnung, daß
die untergeordneten Kasten selber an die religiöse und sittliche Noth-
wendigkeit ihrer untergeordneten Stellung zu glauben sich gewöhnt haben.
Ob die Priesterkaste oder die Kriegerkaste in solchem Staate das
Uebergewicht hat, das hängt von Zeit und Ort, sowie von den Nei¬
gungen und Umgebungen deS Einzelvolks ab. In den meisten Staa¬
ten, welche aus hamitischen Grundlagen erwachsen sind, hat die Kaste