Full text: Leitfaden der Weltgeschichte für die höheren Classen evangelischer Gymnasien und Realschulen, sowie zum Privatgebrauch für Lehrer und für Gebildete überhaupt

486 XXIII. §. 3. Der erste Kamps gegen Papst und Kaiser. 
dann schlug er mit rücksichtsloser Schärfe Alles darnieder, was solche 
neugepredigte Wahrheit verdunkelt hatte oder verdunkeln wollte. So 
stellt er in seiner köstlichen Schrift an den christlichen Adel deutscher 
Nation den kühnen und wahren Gedanken auf, daß alle Christen 
Priester seien, daß also die geweihte Priesterschaft keineswegs eine 
Mittlerstellung habe zwischen den Laien unb ihrem Gott, keineswegs 
einen absonderlichen Stand im Staate bilde, sondern dieselben Rechte 
und Gesetze mit den übrigen Bürgern theile und der Obrigkeit unter¬ 
worfen sei. Gleich darauf in seiner Schrift von der babylonischen 
Gefangenschaft der Kirche stellt er die schriftmäßige Lehre vom Sa- 
crament wieder her, bekämpft die Kelchentziehung und Brodverwand- 
lung, das Meßopfer und alle die unzähligen Jrrthümer und Verkehrt¬ 
heiten, die mit der katholischen Sacramentslehre verbunden waren. 
Und man darf nicht glauben, daß diese Schriften ruhige Produkte seiner 
wissenschaftlichen Forschungen gewesen wären. Unter schweren inneren 
Kämpfen, unter unaufhörlicher Arbeit aller Kräfte seines GemüthS 
reißt er sich von den gangbaren Vorstellungen und den Gewohnhei¬ 
ten der Kirche los, weil — er nicht anders kann. Er muß daS 
Wort verkündigen, um seine Seele zu retten. Mit diesem Sinne, 
mit diesem reinen Eifer für die erkannte Wahrheit, mit diesem gänz¬ 
lichen Vergessen der eignen Person konnte Luther eS wagen, selbst 
vor den Thron des Kaisers in die Mitte der glänzenden deutschen 
Reichsversammlung zu treten (zu Worms 1521), und mit seinem: 
Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! seine felsenfeste 
Ueberzeugung und seinen unerschütterlichen Willen, um ihretwillen auch 
das Schlimmste zu erleiden, vor aller Welt zu bezeugen. Und nun 
schien es, als ob er unterliegen müßte. Dem päpstlichen Bannfluch 
folgte die kaiserliche Reichsacht. Es schien unmöglich, daß Luther'S 
Person noch gerettet, daß sein Werk vor dem Untergang bewahrt 
bliebe. Aber der Herr hielt seine allmächtige Hand über ihm, daß 
Niemand auch nur ein Haar ihm krümmen durfte. 
Trotz Papst und Kaiser blieb Luther ungefährdet und sein Werk 
siegreich. Denn eben nur der Kaiser und ein Theil der Geistlichkeit 
war gegen ihn, sonst aber die ganze Masse der deutschen Nation für 
ihn. Auch der Kaiser, der junge, damals noch ganz unselbständige 
Karl V., war eigentlich nur deshalb so scharf gegen Luther verfahren, 
weil er im bevorstehenden Kampf gegen Frankreich des Papstes Gunst 
und guten Willen brauchte und sich ihm deshalb in der lutherischen 
Sache gefällig erweisen wollte. Von der deutschen Geistlichkeit aber 
war nur ein geringer Theil ganz unbedingt auf Seiten RomS. Die 
meisten waren innerlich empört und fühlten sich schwer bedrückt durch
	        
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