Full text: Lesebuch für gewerbliche Unterrichtsanstalten

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Gesellenmachen — wurden zunächst zwei Gesellen gewählt, die _ in 
den Gebräuchen wohl erfahren waren. Der eine hieß der Hobelgesell, 
er mußte die herkömmliche Rede, die sogenannte Hobelpredigt, halten, 
und der andere war der Spaßmacher. 
Außerdem mußten zwei andere Zengen- oder Patenstelle vertreten. 
Von den dabei erforderlichen, sehr großen, aus Holz gefertigten Werk¬ 
zeugen, Zirkel, Winkelmaß, Hobel und Richtscheit, waren die beiden 
letzteren hohl und mit Erbsen ausgefüllt, damit sie möglichst viel 
Geräusch machten. Bei der Feierlichkeit selbst gab es Musik und 
zahlreiche Gäste, die alle auf des angehenden Gesellen Unkosten tranken. 
Sobald die Lade aufgetragen und die sogenannte Auflage, nämlich 
die Gesellenversammlung, mit den üblichen wohlgesetzten Reden, deren 
jede mit den Worten: „Mit Gunst"' anfing, eröffnet war, ward der 
Aufzunehmende eingeführt. 
Voran ging die Musik, dann kam der Hobelgesell, der den 
großen, hölzernen Zirkel trug, dessen Spitzen mit einer Zitrone und 
einem Blumenstrauß geschmückt waren. Nun folgten die Zeugen mit 
den übrigen Werkzeugen, dann der Lehrling, mit dem der Lustig¬ 
macher allerlei Possen trieb. Vor der Lade angelangt, fragte zunächst 
der Hobelgesell, ob jemand gegen ihn, seine Gehilfen oder den Lehrling 
etwas einzuwenden habe. 
Nach erfolgter günstiger Antwort wurde nun der letztere so gestellt, 
daß seine Arme, auf die Hüften gestemmt, ein Dreieck bildeten und 
die Füße mit den Fersen aneinander stießen, so daß das Winkelmaß 
genau dazwischen paßte. Jetzt schwieg die Musik, und nun begann 
die gereimte Hobelpredigt, in der dem neuen Gesellen, der den selt¬ 
samen Titel Kuhschwanz führte, gute Lehren gegeben wurden. 
War die Predigt zu Ende, so wurde der Kuhschwanz auf die 
Bank gelegt und wie ein Stück Holz behandelt. Er wurde gehobelt, 
man legte das Richtmaß und den Winkel an ihn an, und namentlich 
trieb der Lustigmacher allerlei Mutwillen mit ihm, den er sich ruhig 
gefallen lassen mußte. Der Hobelgesell entwarf dann auf einem 
Zeichenbrette eine Zeichnung, gewöhnlich ein Säulenportal, und be¬ 
lehrte dabei in halb komischer, halb ernster Weise den Lehrling, der 
zuletzt wieder unter das Richtscheit gestellt wurde. 
„Wie heißt du?" fragte nun der Hobelgesell. „Martin". „Bis 
jetzt hießest du Martin unter der Bank; jetzt heißt du Martin auf 
der Bank." Bei diesen Worten gab ihm der Obergesell eine Ohrfeige 
und sagte weiter: „Das leide nur von mir, hinfort von keinem andern." 
Damit war die Aufnahmefeier beendet, und ein Tanz machte den 
fröhlichen Beschluß. ^ bec 3IIustrierten 3eiluna. 
22. Sprüche und Sprichwörter für den Lehrling. 
Oung gewohnt, ist alt getan. — fugend, gib dem Alter Ehr', 
rede wenig, höre mehr. — Lerne was, so kannst du was. — Ohne 
Fleiß kein preis. — wie^ die Arbeit, so der Lohn. — Fleiß ist 
des Glückes Schmied. — Zum Lernen ist niemand zu alt. — Ehre
	        
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