Full text: [Enthaltend Denkwürdigkeiten und Lebensbeschreibungen aus der neuern und neuesten Geschichte] (Theil 4)

253 
war der philosophische Kopf, dem die Entwerfung der Verfassung 
übertragen wurde; Mirabeau*) war der kühne, Alles mit sich 
fortreißende Redner der Nationalinteresien; Lasapette, der edle 
Kommandant der Nationalgarde, war ihre Stütze. Die Ver¬ 
sammlung selbst nannte sich die konstituirende, weil sie die 
Konstitution festsetzte. Als sie am 13. Sept. 1791 in überwallen¬ 
der Freude das Konstitutionssest gefeiert und mit dem Könige den 
Eid auf die Verfassung geleistet hatte, kehrte ein Jeder mit gerech¬ 
tem Stolz und mit heißen Segenswünschen für das Heil des Va¬ 
terlandes in seine Heimath zurück. 
Das übrige Europa sah voll Staunen und Bewunderung dem 
außerordentlichen Schauspiele zu; denn es war ja ein Staat auS 
der tiefsten politischen Verdorbenheit gleichsam verjüngt hervorge¬ 
gangen, und hatte sich nach den Grundsätzen des philosophi¬ 
schen Rechts neu ausgebaut, während noch aus allen übrigen 
Ländern Europa's die Fesseln des Mittelalters — das sogenannte 
historische Recht —mit Centnerschwere lasteten. Von dem „Wahn" 
und „Schrecken" der spätern Zeit war ja noch Nichts zu er¬ 
kennen. Daher kam es, daß bei den ersten Nachrichten von der 
Erhebung des so lange geknechteten und um seine edelsten Güter 
von den Bourbonen betrogenen Volkes die Herzen der rechtschaffen¬ 
sten. christlich gesinntesten Männer aller Völker für die im Westen 
ausgegangene Freiheitssonne lebhaft schlugen. Bald jedoch trat in 
allen bessern Menschen eine Wandlung der Meinungen über 
die Thatcn der „glorreichen Nation" ein, denn nach manchem 
Rühmlichen machte sie sich der schauerlichsten Schandthaten schuldig. 
Die Wiederherstellung der alten Ordnung wird angestrcbt, 
indem man versucht, die Volkserhebung mit Waffen¬ 
gewalt niederzuschlagen. 
Erfreulich war das neue Staatsgebäude anzuschauen; allein 
der Aufbau desselben war zu schwer; denn Vieler Interesse hatte 
*)Mirabean gehörte dem Adelstande an; weil er aber von diesem be¬ 
leidiget zu sein glaubte, so hatte er sich in Marseille einen Tuchia- 
den angekauft. Auf diese Weise gehörte er nun zum Bürgerstande, und 
dieser wählte ihn zu seinem Mitrepräsentanten.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.