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Elisabeth, Kaiserin von Rußland.
Rußland hatte wenig Ursache, sich der Revolution zu erfreuen,
durch die Elisabeth auf den Thron war erhoben worden.
Schrecklich wurde die Nation in ihren Erwartungen von den
Talenten der Tochter Pete r des Großen getauscht. An körper¬
lichen Vorzügen fehlte cs ihr freilich nicht, sie war eine schöne
Kaiserin. Aber ihre persönlichen Reize wurden durch inncrn
Gehalt auf keine Weise unterstützt. Von allen Vorzügen, die
ein Frauenzimmer veredeln, hatte sie keinen; wohl aber die Fehler
beider Geschlechter. Ihren Umgang mit den Männern mußten
selbst weniger strenge Sittenrichter anstößig finden. Ohne nur
irgend auf liebenswürdige Eigenschaften des Verstandes und
Herzens zu sehen, war körperliche Schönheit der einzige Bestim-
mungsgrund bei der Wahl ihrer Lieblinge. Dabei war sie dem
Trünke ergeben, und aus diesen beiden Lastern entstand eine Zügel¬
losigkeit der Sitten, welche die unanständigsten Auftritte hcrbei-
führte. Ein unaufhörliches Spiel verwüstender Leidenschaften
bestürmte und erschlaffte ihre Nerven und stumpfte ihre Geistes¬
kräfte gänzlich ab. Nach und nach wurde diese Monarchin so
unempfänglich für Alles, was außer ihren Neigungen lag, so
sorglos in Ncgierungsgeschäften und so träge, daß man sie nur
mit der größten Mühe zu der kleinsten Beschäftigung, nämlich
zu der Unterschrift der Befehle, brachte, die zwar in ihrem Na¬
men ausgefertigt wurden, deren Inhalt sie aber nie las und selten
zu wissen verlangte. Selbst Hdflichkeitsbriefe an die größten
Fürsten von Europa wurden mit gleicher Nachlässigkeit behandelt.
So z. B. konnte man sie erst nach drei Jahren vermögen, die
Antwort auf einen Brief König Ludwigs XV. von Frankreich
zu unterschreiben, in welchem dieser Monarch ihr die Geburt
eines Prinzen anzeigte.
Unter keiner Negierung in Rußland gab cs so viel gemeine
und so ganz verworfene Günstlinge, die schlechterdings auf keinen
Vorzug der Seele Anspruch machen konnten, als unter dieser
Kaiserin. An ihrem Hofe wimmelte es von Bauern, Stall¬
knechten, Kutschern, Soldaten und Bedienten, die zwar ihrer
eingeschränkten Fähigkeiten wegen sich nicht in Staatsämtern
anstellen ließen, aber doch ansehnliche Hofchargen bekleideten,