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Verfolg der Lebensgeschichte König Ludwigs XV.
. Hat uns die vorhergehende Geschichte ein empörendes Ge¬
mälde schamloser Unsittkichkeit vor Augen gestellt, so ist cs um
so erfreulicher, hier nun zu sehen, wie an einem so verdorbenen
Hofe doch auch die höchste Tugend und Sittenreinheit gefunden
werden kann. Beides erblicken wir in den: häuslichen Verhältnisse
des Dauphin mit seiner liebenswürdigen Gemahlin. Der Erftcre
ward im August 1752- von den Blattern befallen und in einen
sehr gefährlichen Zustand versetzt. Während dieser Krankheit war¬
tete ihn seine Gemahlin mit der größten Sorgfalt, kam am Tage
niemals und des Nachts spat aus seinem Zimmer und leistete ihm
alle, auch die beschwerlichsten und ekelhaftesten Dienste, die sein
Zustand erforderte, um sich ihm gefällig zu bezeigen. Ein berühm¬
ter Arzt, der sonst nicht am Hofe angestcllt war, jetzt aber geru¬
fen wurde und die Prinzessin nicht kannte, die er für eine Wartc-
frau hielt, war so zufrieden mit ihrer Sorgfalt, daß er ausrief:
„Das ist eine Krankenwärterin, die ist nicht mit Gold zu bezahlen;
wie heißt die Frau?" Als man ihm sagte, cs scy die Dau¬
phine, bat er sehr um Verzeihung, daß er ihr die.schuldige Ehr¬
furcht nicht bewiesen habe, und setzte hinzu: „Nun laßt mir
künftig die Pariser Zicrdamen kommen und sich weigern, ihre
kranken Männer zu besuchen, so will ich sie besser in die Enge
treiben und hieher in die Schule schicken." Da der Dauphin
von jeher eine ungemeine Furcht vor dieser Krankheit geäußert
hatte, so erhielt ihn seine Gemahlin in einem beständigen Irr-
thume über seinen Zustand und ließ bloß deswegen eine eigne
Zeitung drucken, die ihm nun statt der gewöhnlichen gebracht
ward, und worin seine Krankheit zwar genau beschrieben, aber
mit einem ganz andern Namen benannt war. Als man ihr
vorstcllte, daß sie durch diese Wartung ihr Leben in Gefahr setze,
antwortete sie hastig: „Was ist an meinem Leben gelegen?
Wenn Er nur lebt; cs wird Frankreich nie an einer Dauphine
fehlen." Der Dauphin empfand nach seiner Genesung nur allzu
sehr, was er seiner Gemahlin zu danken hatte, und war von
diesem Beweise treuer Liebe so gerührt, daß er Alles that, was
er glaubte, das ihr gefallen könne, und bemühte sich von nun