Full text: Deutsche Gedichte für den Geschichtsunterricht

L8. Habsbrirgs Mauern. 
1. In Aargau steht ein hohes Schloß, 
Vom Thal erreicht es kein Geschoß; 
Wer hat's erbaut, 
Das wie aus Wolken niederschaut? 
2. Der Bischof Werner gab das Geld, 
Graf Radbod hat sie hingestellt, 
Klein aber fest, 
Die Habichtsburg, das Felsennest. 
3. Der Bischof kam und sah den Bau, 
Da schüttelt er der Locken Grau, 
Zum Bruder spricht: 
„Die Burg hat Wall und Mauern 
nicht." 
4. Versetzt der Graf: „Was macht das 
aus? 
In Straßburg steht ein Gotteshaus, 
Das bautest du, 
Doch Wall und Mauer nicht dazu." — 
5. „Das Münster baut' ich Gott dem 
Herrn, 
Dem bleiben die Zerstörer fern; 
Vor Feindessturm 
Beschützt ein Schloß nur Wall und 
Thurm." — 
6. „Wohl hast du Recht, ich räum' es ein, 
Ja Wall und Mauern muffen sein! 
Gieb morgen Acht, 
Ich baue sie in einer Nacht." 
7. Und Boten schickt der Graf in's Thal; 
Die Mannen nah'n im Morgenstrahl, 
Und schaarenweis 
Umstellen sie-die Burg im Kreis. 
8. Frohlockend stößt in's Horn der Graf 
Und weckt den Bischof aus dem Schlaf: 
„Die Mauern stehn, 
Wer hat so schnellen Bau gesehn?" 
9. Das Wunder dünkt dem Bischof fremd, 
Zum Erker springt er hin im Hemd 
Und sieht gereiht 
Der Helden viel in Eisenkleid. 
10. Mit blankem Schilde, Mann an Mann, 
Steht mauergleich des Grafen Bann, 
Und hoch zu Roß 
Hebt mancher Thurm sich aus dem Troß. 
11. Da spricht der Bischof: Sicherlich, 
An solche Mauern halte dich; 
Nichts ist so fest 
Als Treue, die nicht von dir läßt." 
12. So schütze Habsburg fort und fort 
Lebend'ger Mauer starker Hort, 
Und herrlich schau'n 
Wird's über alle deutsche Gau'n. 
K. Simrock (geb. 1802). 
Die Brüder iörimm erzählen unter der Ueberschrift: „Raobod von Habsburg" diese hier behandelte 
Sage so: „Im zehnten Jahrhundert gründete Radbod auf seinem eigenen Gute im Aargau eine Buig, 
genannt Habsburg (Habichrsburg. Felsennest), klein aber fest. Als .sie vollendet war, kam Bischof Werner, 
sein Bruder, der ihm Geld daai hergegeben, den Bau zu sehen. und war unzufrieden mit dem kleinen 
Umfang. Nachts aber ließ Graf Radbod seine Dienstmannen aufbieten und die Burg umringen. Als 
nun der Bischof Morgens ausschaute und sich verwunderte, sprach sein Bruder: „Ich habe eine lebendige 
Mauer erbaut, und die Treue tapferer Männer ist die festeste Burg " 
2S. Kaiser Nudolf's Nitt zum Grabe. 
1. Aui der Burg zu Germersheim, 
Stark am Geist, am Leibe schwach, 
Sitzt der greise Kaiser Rudolf, 
Spielend das gewohnte Schach, 
2. lind er spricht: „Ihr guten Meister ! 
Aerzte, sagt mir ohne Zagen: 
Wann aus dem zerbrochnen Leib 
Wird der Geist zu Gott getragen?" 
3. lind die Meister sprechen: „Herr! 
Wohl noch henr' erscheint die Stunde!" 
Freundlich lächelnd spricht der Greis: 
„Meister, Dank für diese Kunde." 
4. „Auf nach Speier! Auf uach Speier!" 
Ruft er, als das Spiel geendet, 
„Wo so mancher deutsche Held 
Liegt begraben, sei's vollendet! 
5. Blas't die Hörner, bringt das Roß. 
Das mich oft zur Schlacht getragen!" 
Zaudernd steh'n die Diener all', 
Doch er ruft: „Folgt ohne Zagen!" 
6. Und das Schlachtroß wird gebracht: 
„Nicht zum Kampf, zum ew'gen 
Frieden, 
Spricht er, trage, treuer Freund, 
Jetzt den Herrn, den lebeiismüden!" 
7. Weinend steht der Diener Schaar, 
Als der Greis auf hohem Rosse, 
Rechts und links ein Capellan, 
Zieht, halb Leich', aus seinem Schlosse. 
6. Trauernd neigt des Schlosses Lind' 
Vor ihm ihre Aeste nieder; 
Vögel, die in ihrer Hut, 
Singen wehmuthsvolle Lieder.
	        
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