der päpstlichen Herrschaft.
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und Nebel, die sich so befestiget haben, daß ihnen auch noch
jetzt in den katholischen Landern nicht beizukommen ist?
Es fehlte den Christen der freie Gebrauch der Quelle,
woraus allein christlicher Unterricht zu schöpfen ist. Es war
freilich die Bibel überhaupt vor der Erfindung der Buch¬
druckerkunst eine Seltenheit; nur Klöster und angesehene
Geistliche konnten sie benutzen, die übrigen Lehrer lernten
nothdürftig, was sie bedurften, und die Verrichtung der
Gebrauche und das Herfagen einiger Gebete blieben die
Hauptsache. Allein es wurde auch sogar den Laien un ter¬
sagt in der Bibel zu lesen, unter dem Vorwände, sie ver¬
standen sie nicht und würden dadurch nur in ihrem Glauben
irre. Sie sollten glauben, was die Kirche vorfchreibe. Und
doch heißt es gewiß auch bei den Christen: Suchet in der
Schrift; gewiß soll sie ein Buch seyn, worin Jeder in dem,
was ihm zur Seeligkeit zu wissen nöthig ist, und ob er den
rechten oder einen falschen Weg geführet werde, Auskunft
erhalten und suchen soll. In dem Heidenthum gab es ab¬
gesonderte Priesterkasten und Pfaffen, welche unmittelbare
Vertraute der Gottheiten und Bewahrer geheimer Lehren
seyn wollten. Das Christenthum kennt keine solche Geheim-
nißkramerei, und ihre Lehrer sollen Jedermann auffordern,
selbst zu prüfen, ob sichs nach der Schrift so verhalte, wie
gelehrt wird, was auch in der Hauptsache möglich ist, und
über dunkle Stellen braucht man sich nicht zu beunruhigen.
Es kam aber hinzu die Behauptung: „Es gibt neben der
Bibellehre auch noch eine Erblehre durch mündliche Ueberlie-
ferung (Tradition). Christus hat nichts ausgeschrieben, auch
nicht geboten: schreibt, sondern lehret; viele Lehren und
Gebrauche der katholischen Kirche sind nicht in der Bibel zu
finden, aber sie beruhen auf mündlichen Ucberlieferungen von
Aussprüchen Jesu, der Apostel und der Kirche, die sie durch
ihre von dem heiligen Geiste geleiteten Kirchenlehrer erhalten
und fortgepflanzet hat." Es ist jedoch nur erst zu erweisen,
ob die heilige Schrift eine solche Ergänzung nöthig habe,
oder ob nicht vielmehr das, was sie lehret, hinreiche zur
Seeligkeit; ob nicht eben die Lehren der Tradition wohl gar