Object: Lehrbuch der Weltgeschichte

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Dritter Zeitraum. II. Abschnitt. 
behaupten. Den unter Oesterreichs Vortritt gegen Preußen agirenden 
Staaten, welche mit großer Consequenz vorschritten, verinochte letzteres 
nur eine schwache Nachgiebigkeits-Politik entgegenzusetzen, wesshalb 
auch der Erfurter Reichstag zu Anfänge des Jahres 1850 nicht nur er¬ 
folglos, sondern selbst fast unbeachtet blieb. Dahingegen verfuhr der 
großdeutsche Bundestag zu Frankfurt besonders in der kurhessischen und 
der schleswigschen Frage sehr energisch. 
In Kurhessen hatte nämlich der Regent durch Berufung Hassen- 
pflug's zum Premier geradezu die Rückkehr zum Alten ausgesprochen. 
Die Hessen, sich auf die beschworene Verfassung stützend, setzten den 
Uebergrisfen der Regierung einen kraftvollen passiven Widerstand entge¬ 
gen, so dass eine Intervention nothwendig erfolgen musste. Preußen 
rückte zu Gunsten der Verfassung in Kurhessen ein, aber auch die öster¬ 
reichisch - baierischen Bundestruppen ließen nicht lange auf sich warten 
und zwar zu Gunsten des verfassungsbrüchigen Kurfürsten. Nun ist es 
empörend, wie Preußen, in Folge der Warschauer Conferenzen (2. 
November), den Truppen den Befehl gab, sich auf die Etappcnstraßen zu 
beschränken, und die Baiern in unbegrenztem Uebermuthe in Kurhessen 
sich Bedrückungen der gemeinsten Art erlauben durften. Erst die drohende 
Mobilmachung Preußens, wie es scheint, und die Reise Manleuffel's 
nach Olmütz brachten eine Aenderung in sofern zu Wege, als sowohl 
die preußischen als die sogenannten BundeStruppen Hessen räumen soll¬ 
ten, dass der Kurfürst nach Kassel zurückkehren und ein Congress aller 
deutschen Fürsten zu Dresden (Ende December) diese brennende Frage 
beseitigen würde. 
Welcher Art der preußische Constitutionalismus sei, hat sich auch 
in den neuesten Tagen wieder gezeigt. Die zweite Kammer nämlich hat 
dem Ministerium ein entschiedenes Misstrauensvotum ob der von ihm 
verfolgten Politik abgegeben; da erklärt der Minister des Innern, dass 
er an seiner Stelle so lange bleiben werde, als der König es ihm be¬ 
fehlen würde. Demirach kommt es ihm auf Kammermajorität, oder 
Volkcsstimmung gar nicht an. Die unmittelbare Folge jenes Votums 
war die Vertagung beider Kammern vom 4. December bis zum 3. Ja¬ 
nuar 1831. So hat dieses Ministerium innerhalb 2 Jahren zweimal 
die Abgeordnetenversammlungen aufgelöst, zweimal vertagt und das 
fünftemal wäre eine Auflösung (im Januar 1830) ebenfalls erfolgt, 
wenn sich die Kammern bei den damals vorgelegten 13 Propositionen, 
um nur die Ruhe des Landes zu bewahren, nicht so gefügig gezeigt hät¬ 
ten. Freilich, eine Rede, wie die von Vincke und Riedel, kairn reicht so 
ungeahndet bleiben, und das Land hat hierbei nur die einzige Genug- 
thuung, dass dem Ministerium doch wenigstens zum Theil gesagt wor¬ 
den ist, was das Land von ihm hält und wünscht, nämlich sein Abtreten. 
Wie kann aber auch die Regierung das Vertrauen des Landes genießen, 
wenn sich Russland herausnehmen darf, ihr zu sagen, dass es im Falle des
	        
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