Karl VI. 
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unb Oestreich mit Deutschland vereinigt als Wächter desselben 
aufgñellt wurden. Sie zusammen konnte kein erobo- 
runaSsüchtiger Gedanke treiben-/ und sie waren nur stark 
im gerechten Schutzkriege für die ruhige Haltung des Gan¬ 
zen. Dann konnte das System des Gleichgewichts als eine 
unsichtbare Macht für die neueren Zeiten die Stelle einneh¬ 
men, welche Kaiserthum und Pabstthum im Mittelalter aus¬ 
gefüllt hatten. 
Allein Karls Geist, so wie sein ganzes Zeitalter, konnte 
ein so hohes Bild nicht fassen noch halten. Der Gedanke 
dcö Gleichgewichts der Staaten wurde rmmermehr ein äu¬ 
ßerlicher , ein sorgfältiges Abwägen der physischen Kräfte, 
ein Messen des Umfanges der Länder, und ein Zählen 
der Unterthanen und der Soldaten. Denn das war auch 
eines der großen Ucbel, die von Frankreich ans, und am 
meisten durch Ludwig XIV., über Europa kamen, daß die 
Herrscher die Gewährleistung ihrer Selbstständigkeit und 
Sicherheit nicht, wo sie allein ruht, in der Liebe ihrer Völ¬ 
ker , sondern in der großen Zahl immer schlagfertiger Krie¬ 
ger, suchteni Diese mußten vermehrt werden, wenn der 
Nachbarstaat sie vermehrte, und sie war fast allein der 
Maaßstab für das Verhältnis unter den Völkern. Die gei¬ 
stigen und sittlichen Kräfte, weil sie nicht gemessen werden 
können, wurden gar wenig beachtet. Solche Vernachläs¬ 
sigung mußte sich schwer rächen; der nicht geachtete Geist 
sioh aus dem ganzen, mühseligen Gebäude, welches er allein 
harte aufrecht halten können; und nach einem kurzen Glanze zu 
Wilhelms und Eugens Zeit, und längerem, traurigen Wan¬ 
ken, bald von dieser bald von jener Stütze kümmerlich gehalten, 
ist das System des Gleichgewichts, nicht einmal hundert Jah¬ 
re nach seinem Ersten Entstehen, in sich zusammen gestürzt. 
Für Deutschland hatte dieses System, und Oestreichs 
Stellung darin, die Folge, daß Deutschland in die Kriege 
des Kaiserhauses mit verwickelt, daß cs überhaupt in alle 
Bewegungen Europa's hineingerissen wurde, ohne einen 
Gewinn davon zu haben; vielmehr wurde, auch das alte, 
wankende Reichsgebäude durch die steten Erschütterungen nun 
völlig aus seinen Fugen getrieben. Denn weder in dem Leben 
deö Einzelnen, noch der Völker, gibt es einen-Skillstand, sie 
schreiten unaufhaltsam rückwärts, wenn sie nicht vorwärts 
dringen; und Deutschland hatte eben eine große Gelegen¬ 
heit der Erhebung gleichgültig von sich gewiesen. — Übri¬ 
gens waren die letzten zwanzig Jahre bis zu Karls VI. 
Tode, mu geringen Ausnahmen, eine Zeit der Ruhe. Der 
Kaiser widmete sich vorzüglich der inneren Verwaltung sei¬ 
ner großen uno schönen Länder, und dieses war für sie, nach
	        
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