Die Autokratie.
251
Das Bürgerleben Europas gewinnt eine immer breitere und tiefere
Unterlage. Es ist nun bereits angeführt worden, daß die fürstliche
Gewalt durch dieses Bürgerleben emporgetragen, ja zum Theil von
demselben begehrt und erfordert wird. Die fürstliche Gewalt hat
nun in sich selbst eine Richtung, einen Zug zum Absoluten, zur
Autokratie, der mehr noch in der Natur der Sache, als in den einzel¬
nen Personen begründet ist, welche mit der fürstlichen Würde be¬
kleidet sind.
Das Bürgerleben Europas ist seit dem Ende des Mittelalters
immer im Stillen mitten unter dem Getöse der Waffen und mitten
in den Schwingungen und Bewegungen der allgemeinen Ereignisse
gewachsen, mit ihm zugleich des Fürstenthums Stellung. Die wilde
Freiheit des Mittelalters taugt nicht mehr für diese Zeit. Wenn die
Freiheit und Gewalt des Adels, die das Leben sonst stets in unruhi¬
ger Bewegung gehalten, von dem Fürstenthume niedergedrückt wird,
so wird es darob von Bürger und Bauer gesegnet und in der
Freude über die von der Fürstenkraft geschaffene Ruhe übersehen sie,
wenn dieselbe bei dieser Gelegenheit auch die andern Schranken nie¬
derbricht, die es umgeben. Auch die Kämpfe um Kirche und Glau¬
ben haben vielfach dazu beigetragen, das Fürstenthum zu starken.
Die Gcmüther der Menschen sind auf ein Anderes gerichtet gewe¬
sen als auf den Staat und so hat über ihn freier als es sonst würde
möglich gewesen sein, von denen, in deren Hand erliegt, geschaltet
werden können. Wo, wie in Frankreich, ein gewaltiger Kampf ge¬
wesen, der Wildheit und Frechheit in das Leben gebracht, wird nach
dem Ende des Streites die Nothwendigkeit einer starken Macht im
Staate gefühlt, welche die Ordnung wieder begründe und die neu¬
begründete zusammenzuhalten im Stande sei. Wo, wie in Böhmen
und in Baiern, der Protestantismus, weil das Fürstcnthum zufällig
bei der Katholicität verharrte, genöthiget ward, zugleich auch poli¬
tische Opposition gegen jenes zu sein, ward bei dem Siege von den
katholischen Fürsten mit dem Protestantismus auch die Opposition
für die Gegenwart und für die nächste Zukunft zusammengebrochen.
Denn das Fürstenthum hatte seiner Natur gemäß an das Absolute
denken müssen, so wie der Boden der Welt nur einigermaßen dazu
bereitet war, und es ist also jegliche Gelegenheit ergriffen worden.
Es kommt nun aber eine lange Zeit, in welcher die Autokratie ganz
Europa erfassen und sich selbst immer vollständiger machen will. Die
Autokratie durchdringt von nun an das Leben so wie es in früherer
Zeit von der katholischen Reaction durchdrungen worden. Die Be¬
gebenheiten laufen zum großen Theil von ihr aus und gehen zu ihr
zurück. Aber das mittlere, südliche und nördliche Europa scheinen