Full text: Geschichte der neueren Zeit für höhere Unterrichtsanstalten und zum Selbstunterrichte Gebildeter (Bd. 3)

306 Drittes Buch. 
päischen Großmächte. Dazu ist die ganze Thorheit Karls XU. 
ndthig gewesen. 
Die Verhältnisse des Nordens und des Nordostens von Europa 
haben eine gänzliche Umgestaltung erfahren. Schweden ist wie ver¬ 
schwunden und auch Polen verschwindet immer mehr. So klar liegt 
1710 die Schwäche Polens den andern Mächten vor, daß 1710 aber¬ 
mals von einer Theilung die Rede ist. Dabei wird indessen die 
Narrheit des polnischen Adels immer größer. Der Reichstag hat 
1717 das Heer bis auf achtzehntausend Mann vermindert, damit 
die königliche Macht sich ja nicht regen könne. Lieber lassen sie sich 
schon von den Russen befehlen. August II. gicbt seine früheren Ent¬ 
würfe auf und sinkt vollends ganz in Weichheit und Schlaffheit nie¬ 
der, der Adel von Polen mit ihm. Die aristokratische Freiheit, welche 
in Polen bleibt, in Schweden wird, scheint nur zum Opfer der 
Autokratie bestimmt zu sein, welche von Rußland her sie verschlingen 
wird. Eigentlich steigen in der Theorie kann diese Autokratie in 
Rußland nicht. Sie ist dort eine alte Lehre, an welcher Niemand zu 
zweifeln wagt. Gott und der Zar sind beinahe eins bei den Russen, 
Gott und dem Zar gehören alle Dinge, Gott und der Zar wissen 
Alles. Aber in der Praxis, da kann die Autokratie allerdings 
noch steigen und durch den Zaren Peter, der 1722 den kai¬ 
serlichen Titel anlegte, ist es geschehen. Wenn er die Strelitzen ver¬ 
nichtet, wenn er das Patriarchat aufhebt, unter welchem die Kirche 
sich noch in einer gewissen Freiheit vom Zarenthume bewegt, und 
die heilige ditigirende Synode an seine Stelle setzt, die so ganz von 
dem Kaiser abhängt, wenn er den Rang nur nach des Kaisers Dienst 
und nicht nach dem Adel bestimmt, wenn er die militairische Dis- 
ciplin bei dem Heere einführt, wenn er die vornehmen Bojaren nicht 
mehr befragt, so steigert sich dadurch die Autokratie in der Praxis 
und Niemand hat in Rußland etwas darwider oder er schweigt doch, 
wenn sie sich so consequent weiter entwickelt. Daß er nun dieses 
gethan, ist die eine Bedeutung des Lebens Peters. Die zweite ist in 
dem Laufe der Begebenheiten erschienen, wie er das Reich erweitert, es 
an das Meer bringt und Europa näher rückt. Ueberhaupt sucht er 
diese Macht vorzurücken, im Norden von Asien, wo die Russen sich 
in Kamtschatka setzen, gegen Persien und am caspischen Meer, gegen 
die Türken. Eine dritte erstrebt der Zar nicht minder. Die euro¬ 
päische Civilisation will er nach Rußland bringen. Aber ihm selbst 
ist sie unverstanden geblieben und seine Reisen nach Europa hinein 
haben ihn nur die Künste und die materiellen Wissenschaften kennen 
lernen. Männer, die solche verstehen, zieht er in Schaaren nach 
Rußland, die Russen sollten es nachahmen lernen und sie haben es
	        
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